Violeta Mikić

Pausenbrief 02 | 2017

Erbarmen, die Jecken kommen?!
Über das lehrreiche Spiel mit den Identitäten

Liebe Leser,

in diesen Tagen fällt unser Land mal wieder in den Ausnahmezustand. Zumindest in so manchen Karnevalshochburgen pflegen viele abenteuerlich kostümierte Zeitgenossen närrische Rituale. Das ist gewiss nicht jedermanns Sache. Nichtsdestotrotz hat das bunte Treiben in der »fünften Jahreszeit« Beobachtern aus der Kommunikations- und Verhaltensforschung höchst interessante Aspekte zu bieten. Und wie immer heißt es dabei: Genießen Sie Ihre Pause! 

 

Die vorwiegend auf heidnischem Glauben basierenden Bräuche wurden ab dem 13. Jahrhundert verschiedenenorts aktenkundig, vermutlich sind sie bereits wesentlich älter. Man setzte sich Masken auf, formierte Umzüge, lärmte mit Glöckchen, Rasseln oder Peitschen, um den Winter und seine bösen Geister zu vertreiben. Damit einhergehend wurde die Fastenzeit eingeleitet. Bevor man in den kommenden Wochen bis zum Osterfest auf kulinarische Genüsse wie Fleisch, Eier oder Bier verzichtete, wurde noch einmal kräftig auf den Putz gehauen.  

 

Die Popularität dieser kollektiven Ausgelassenheit ist bis heute ungebrochen. Von Basel bis Rio de Janeiro feiert man das vielleicht universalste Kostümfest der Welt; selbst im protestantischen Berlin laufen uns am Rosenmontag leutselige Prinzessinnen und Cowboys über den Weg. Es scheint, als sei sich die ganze Menschheit darüber einig, dass es ganz schön wäre, für kurze Zeit jemand ganz anderes zu sein. Nicht selten schlüpfen Lebemänner in eine bescheidene Nonnenkluft, sonst eher schüchterne Kandidaten treten als bärenstarker Superman auf, knallharte Top-Managerinnen hüllen sich in flauschiges Hasenfell … Der Karneval bietet ihnen allen eine wundervolle Bühne, auf der es sich dem Alltag entfliehen lässt, und wo alles möglich ist. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.  

 

Was die Erwachsenen in den tollen Tagen wagen, meistern die Jüngsten unter uns das ganze Jahr über. Ab dem Alter von drei Jahren geht es mit den Rollenspielen los. „Vater, Mutter, Kind“, „Doktor und Patient“, „Räuber und Gendarm“ sind die geläufigsten Wechsel-Identitäten, die Kinder über den eigenen Tellerrand hinausblicken lassen. So tasten sie sich erstmals in die Aufgabenwelt der Erwachsenen vor und bekommen eine Vorstellung davon, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen. Dabei lernen sie unter anderem, sich in andere hineinzuversetzen.  

 

Im Fachjargon heißt das Empathie. Und nicht umsonst sind Rollenspiele wesentliche Bestandteile vieler Coaching-Programme, um festgefahrene Verhaltensmuster zu lösen, neue Sichtweisen einzunehmen, Verständnis für sein Gegenüber aufzubringen und somit im Konfliktfall möglichst konstruktive Lösungen zu schaffen.  

 

In diesem Sinne wünsche ich den Närrinnen und Narren dieser Tage, wie und wo sich sich auch immer austoben mögen, amüsante und (selbst-) erkenntnisreiche Zeiten.  

 

Helau und Alaaf – Ihre Violeta Mikić. 

 

 

 

Dieser Newsletter erscheint regelmäßig zu aktuellen Themen rund um die Körpersprache und kann abonniert werden. Bitte senden Sie eine Mail an: kontakt@violeta-mikic.de