Violeta Mikić

Pausenbrief 03 | 2023

Mimische Ausdruckselemente sind kulturübergreifend

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

manchmal schaffe ich es, mir die Ausdrucksformen der Gesichter, die ich in der U-Bahn sehe, wie ein Anthropologe anzuschauen. Ich versuche, bloß zu lesen, was die Muskeln machen, nichts zu deuten. Haben Sie das mal probiert? Es ist irre! Allein die Kombinationen, die da möglich sind: aufgerissene Augen mit zugepresstem Mund – nach unten hin gerunzelte Stirn, gekräuselte Nase, ein hochgezogener Mundwinkel – nach oben hin gerunzelte Stirn, aufgerissene Augen, geklappte Kinnlade – zwei hochgezogene Mundwinkel – ein verhangenes Lid – zwei verschlossene Augen und ein offener Mund – Grübchen, Grübchen, Grübchen – – – oft muss ich dabei wirklich lachen. Über diese mechanische Komponente in dem, wie wir unsere Gesichter gestalten. Und wie dabei alle Menschen auch erstmal gleich sind, Teil der Evolution, welcher man quasi vom U-Bahn-Sessel aus bei der Arbeit zusehen kann.


Dahinter steht wissenschaftliche Forschung. Biologie, Soziologie und Psychologie widmen sich der Mimik als erstem Tool menschlicher Kommunikation. Der US-amerikanische Anthropologe Paul Ekman hat festgestellt, dass mimische Ausdruckselemente kulturübergreifend sind. Vor allem lassen sich 7 mimische Basisemotionen feststellen, aus denen sich alle anderen emotionalen Repräsentationen zusammensetzen: Freude, Überraschung, Angst, Wut, Ekel, Trauer, Verachtung.


Wir sind also geeicht, und auch wenn wahrscheinlich nirgends so gelogen wird, wie im Gesicht, ist eine Verbindlichkeit da, was die gegenseitige Lesbarkeit von Emotionen angeht. Sonst wären verstellte Gesichter ja auch gar nicht dechiffrierbar. Zu den 7 Basiselementen gesellen sich dann noch 3 Wirkungszweige: 1. Mimik ist Reflexion der Außenwelt (assoziativer Parameter), 2. Mimik ist Spiegel der Innenwelt (kontinuierlicher Parameter), 3. Mimik ist Abdruck der 'Furchen des Lebens' (historischer Parameter). Das heißt, wir nehmen beim Frühstückspartner zum Beispiel einen hochgezogenen Mundwinkel zusammen mit einem Grübchen wahr und 'wissen', ohne dass auch nur ein Wort gewechselt würde, dass der Kollege keine weichgekochten Eier mag, dabei aber an seine Mutter denken muss, die immer gesagt hat, wenn man Gast ist, muss man schlechtes Essen weglächeln. Tatsächlich funktioniert so das Prinzip dieser Verschaltung!


Und nun stellen Sie sich vor, dass es allen von uns mit jedem Frühstückspartner in jeder Minute auf immer wieder neue Weise so geht und jedem Frühstückspartner mit uns! Die menschliche Mimik ist ein Pulverfass an Nachrichten. Können wir das kontrollieren? Entschiedenes Jein. Teils müssen wir akzeptieren, dass wir evolutionäre Wesen sind, die nicht nicht komplex reagieren können. Teils dürfen wir aber auch dazu-, sogar umlernen. Nicht jede hochgezogene Augenbraue ist immer angebracht. Eine kugelrund aufgeblähte Wange, die man schließlich ploppen lässt, kann auch ein spitzer Kommentar sein – aber ein netter!


Ihre Violeta Mikic.