Violeta Mikić

Pausenbrief 02 | 2019

Stimmt so!
Wie ist es um unsere Großzügigkeit bestellt?

Liebe Leser,

wir alle müssen im Alltag sehr viele kleine, vermeintlich banale Entscheidungen treffen – eine davon lautet: Wann gebe ich wie viel Trinkgeld? In diesem Pausenbrief erfahren Sie, warum diese Frage beim Candlelight-Dinner ebenso relevant ist wie beim Business-Essen. Und wie immer heißt es dabei: Genießen Sie Ihre Pause! 

Stellen Sie sich folgende Szene im Restaurant vor: Man hat in kleiner Gesellschaft gepflegt gespeist, die Rechnung ist so saftig wie das zuvor freundlich servierte Entrecôte vom Galicien-Rind. Der Betrag wird brüderlich geteilt, dann legt Ihr Gegenüber gönnerhaft eine weitere stattliche Banknote obendrauf. »Das ist zu viel!«, protestiert sein Sitznachbar, der bloß ein paar müde Münzen als Trinkgeld beigesteuert hat. Ein Dritter zückt den Taschenrechner, um das exakte Mittel der in Deutschland üblichen 5 bis 10 Prozent Aufschlag für den Tip zu berechnen. Man beäugt einander. Großkotz, Knauser, Erbsenzähler. Und welcher Trinkgeld-Typ sind Sie?    

Sie merken: Es ist Fingerspitzengefühl gefragt bei dieser Etikette, in der sich kaum jemand wirklich trittsicher bewegt. US-Studien zufolge zahlen Restaurantgäste in Begleitung deutlich mehr als Alleinspeisende – das spricht Bände. Man kommt eben nicht umhin, einen bestimmten Eindruck auf Geschäftsleute, Freunde oder Partner zu hinterlassen. Und nicht nur die Summe zählt, sondern auch das »Wie«. Trinkgeld kann demonstrativ abgezählt, zugesteckt, hingeworfen oder diskret liegengelassen werden. Wer sich gebärdet, als sichere er damit das Überleben einer Großfamilie ab, wird wohl weder beim Kellner noch bei seinen Tischgenossen punkten.   


An der Höhe scheiden sich seit Jahrhunderten die Geister. Schon im Mittelalter war es üblich, Boten, Handwerker und Fuhrleute huldvoll mit einer Dreingabe zu entlohnen – als Mixtur aus Gesten der Macht, Bestechung und Bettelei. Adolph Freiherr von Knigge beschrieb 1788 das Trinkgeld als bewährtes Mittel, Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu räumen. Mit dem aufkommenden Tourismus im 19. Jahrhundert fühlten sich Reisende gar als Opfer eines geldgierigen Personals, das wiederum existenziell auf die »freiwilligen« Gaben der Gäste angewiesen war. Die in Hamburg gegründete »Anti-Trinkgeld-Liga« mühte sich vergeblich um klare Verhältnisse. Die Menschen zahlten weiter Trinkgeld, selbst gesetzlichen Verboten zum Trotz. Anarchistisch, unkontrollierbar, bisweilen gar verrucht – wer die »Abgründe, die hinter dem Trinkgeld lauerten« nachlesen mag, dem sei das Buch »Der Rest ist für Sie! Kleine Geschichte des Trinkgeldes« des Historikers Winfried Speitkamp ans Herz gelegt. 


In ökonomischer Hinsicht erscheint es irrational, dass wir für eine bereits erbrachte und bezahlte Leistung noch einmal Geld drauflegen, selbst wenn wir den Empfänger womöglich niemals wiedersehen werden. Wir geben hauptsächlich deshalb Trinkgeld, weil es nun mal »üblich« ist, und um uns nicht zu blamieren. Im Idealfall zeige ich mich angemessen spendabel, weil ich für einen guten Service wirklich dankbar bin. Oder nehme mir auch mal die Freiheit, kein Trinkgeld zu geben, wenn der Service lausig war (was ich dann aber fairerweise auch offen ansprechen sollte). Es bleibt, zumindest hierzulande, beim Prinzip der Freiwilligkeit – deshalb dürfen Sie selbst festlegen, was Ihnen eine Dienstleistung wert ist. Wie auch immer Ihre Entscheidung ausfällt: Handeln Sie stets mit Würde, innerer Aufrichtigkeit und Bedacht. Damit sind Sie auf der sicheren Seite. Und abschließend möchte ich Ihnen noch einen Tipp (diesmal mit zwei »p«) mit auf den Weg geben: Der individuell recht unterschiedliche Umgang mit Trinkgeld ist immer wieder ein anregendes Gesprächsthema für jede Tischrunde. 

    

In diesem Sinne wünsche ich für Ihren nächsten Restaurantbesuch schon mal guten Appetit! 

 

Ihre Violeta Mikić.






Dieser Newsletter erscheint regelmäßig zu aktuellen Themen rund um die Körpersprache und kann abonniert werden. Bitte senden Sie eine Mail an: kontakt@violeta-mikic.de