Violeta Mikić

Pausenbrief 10 | 2021

Schwarzbrot, Weißbrot oder Mischbrot?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, ein Ausschuss, der die Interessen des deutschen Handwerks vertritt, setzt durch, das Wort "Liebe" dürfe mit sofortiger Wirkung nicht mehr als Bezeichnung für zwischenmenschliche Beziehungen verwendet werden, auch nicht in sprachritualisierten Wendungen wie Anredeformeln, weil in ihm das Wort "Beile" steckt. Durch anagrammatische Umstellung der Buchstabenfolge lasse sich zeigen, dass "Liebe" einen verdeckten Bezug zu axtartigen Werkzeugen aufweist, wodurch alle, die das deutsche Handwerk vertreten, in Arbeitsethos wie Arbeitsroutinen latent falsch beurteilt würden. Schriebe ich demgemäß weiter "Liebe Leserinnen, liebe Leser", ließe sich bei mir ein falsches Denken nachweisen, da ich in unbewusst schädlicher Absicht eigentlich sage, es nur nicht so nenne: "Beile Leserinnen" und "hämmere Leser", und das ginge natürlich gar nicht. Weil ich meinen Leserinnen und Lesern auf gut Deutsch keine Schnitt- und Platzwunden zufügen dürfe. Nicht mal in Gedanken, auch wenn ich finde, dass sie viel mehr Pausenbriefe lesen sollten.


Können Sie sich das vorstellen? Nö? – Das müssten Sie aber, liebe Leserinnen und Leser – flüsternd: hat meine Intro bereits einen Abstand zu der Anredeformel erzeugt, die Sie seit Jahren von mir kennen? –, also Sie müssten es sich bitte vorstellen können. Denn es geht um die jüngsten Entwicklungen in Sachen "Sprachfairness“:


Einer Fahrt mit der Rheinbahn in NRW verdanke ich den Hinweis, dass das gute alte "Schwarzfahren" unterbunden werden soll. Wie, was?! War Schwarzfahren denn zwischenzeitlich erlaubt? Nein, Schwarzfahren der Sache nach war natürlich zu keinem Zeitpunkt legitim. Außer vielleicht im rheinischen Karneval. Aber da läuft eh alles bunt. Es geht der Rheinbahn um das Wort "Schwarzfahren". Denn es gibt eine Menge Menschen, die, nun, wie soll ich das wieder sagen, ohne es noch denken zu dürfen, ihren ethnischen Wurzeln und der physiologischen Historie nach, mal platt jetzt: nicht so weiß sind wie ich. Jap, ich bin ein Bleichgesicht. Und ich sehe, dass sehr viele Leute da sind, die eine bessere Tönung besitzen. Wer hier mit Vollfarben argumentiert, hat grundsätzlich nicht verstanden, dass alles Mixtur ist. Allzumal gelb, rot, braun. Außer Reinweiß. Welches sogar ich nicht vertrete, weil ich ja nur vor lauter Arbeit freitagabends verdammt bleich sein kann. Schwarz als Hautfarbe gibt es ebenso wenig, gab es nie, weil schwarz eine unbunte Farbe ist, die unter Lebewesen nicht vorkommt.


Wer insofern das Wort "Schwarzfahren" verbieten will, bringt einen eigentlich erst drauf, dass es "schwarze Menschen" gäbe. Die Rheinbahnleitung argumentiert natürlich in umgekehrter Richtung (so wie sie auch oft auf falscher Weiche fährt). Es heißt, mit der Vokabel "Schwarzfahren" würden unbewusste Gedankenmuster aufgerufen, die Mitbürger*innen anderer Herkunft und Sozialisierungsgeschichte diskriminierten. Dann möchte ich aber zunächst mal auf "Schwarzfahrer*innen" bestehen, liebe Rheinbahn. Desgleichen fragen: Was ist mit "Schwarzbrot"? Vor allem im Rheinland? Klar, Weißbrot schert Euch nicht. Das müssen die Franzosen regeln, sagt Ihr. Aber wenn "Schwarzfahren" und in konsequenter Folge auch Euer "Schwarzbrot" nach den Regeln fairer Sprache abgeschafft werden, backt Ihr dann "Mischbrot"? Das würde ich persönlich Graubrot nennen und Safran kaufen, um nachzufärben. Wie weit wollen wir gehen mit unserer Aufmerksamkeit? Wenn es kein Schwarzbrot mehr gibt, soll man schweigen und die Ernährung umstellen? Dann werde ich dünner, ist das ein Zeichen, dass auch gerechter?


Jetzt sind wir wieder beim deutschen Handwerk. Man tilgt doch feindliche Überzeugungen nicht, wenn man unschuldige Wörter aus dem Duden streicht. Ja, beim Handwerk der deutschen Sprache. Die selbstverständlich mit dem Denken verwoben ist. Aber nicht nach dem Schema von Kochrezepten. Wer nur hineintut und herausnimmt beim Vokabelsack, ohne auf die zarten, sporenartigen geschichtlichen Komponenten unseres sprachlichen Wissens und Verhaltens Rücksicht zu nehmen, der diskriminiert den Wortschatz selbst. Das ist der Punkt. Zwischen angemessenem Reden und politischem Korrektsein liegt die Gefahr einer kollektiven Selbstanfeindung in dem Sinne, dass wir uns mit der Palette sprachlicher Eigenarten die eigenen Erlebnisformen wegnehmen.


Ehrlich, über sowas könnte ich zum Trauerkloß werden. Oder darf ich das jetzt auch nicht mehr sagen, weil dies den Kloß diskriminiert?


Lasst uns Liebestörtchen backen,

Ihre/ Eure

Violeta Mikić