Violeta Mikić

Pausenbrief 10 | 2024

Glückssträhne 

Liebe Leserinnen, liebe Leser, 

... und nach meinem Schlüsselbeinbruch, der ja mitten in die Zeit meiner Theaterproduktion fiel, wurde ich im Urlaub krank. Vorzeitige Abreise. Auf dem Flughafen löst sich der Griff meines Rollkoffers. Nur noch den Griff ohne Koffer in der Hand, stieg ein Gefühl auf, dass ich den Griff an die Dinge insgesamt verliere. Am Wochenende drauf sticht jemand meine Autoreifen auf. Ich bin an diesem Nachmittag gerade mit dem Fahrrad unterwegs, im Wald, bewusst weit vor der Stadt, mir ist gerade nicht so nach Community. Da geht ein Fahrradreifen kaputt. Nach wie vor mit beeinträchtigtem Schlüsselbein schiebe ich über Sandwege Kilometer um Kilometer, bis sich in einer Sackgasse – tatsächlich, so war es – eine Bushaltestelle findet, heute mit Aushang, der Shuttle-Verkehr zur nächsten S-Bahn sei aus technischen Gründen unterbrochen. "Unterbrochen", so komme ich mir selbst vor. Alle Missgeschicke scheinen sich auf mich zu konzentrieren, und dachte ich neulich noch, dass ich diese absurde Kette mal verfolgen sollte, um Gründe auszumachen, kommt es mir inzwischen so vor, als verfolgt die Kette mich. Am nächsten Tag knallt im Luftzug die Haustür zu. Ich stehe mit Zahnbürste vor meiner Wohnung, wollte doch nur die Kübelpflanzen im Flur gießen, weil die Nachbarn verreist sind, mein Schlüssel liegt natürlich drinnen auf der Kommode. Und am wieder nächsten Tag knackst mir der Schuhabsatz weg, genau vor der Haustür, die sich gestern auf denkbar komplizierte Weise und erst nach Stunden hat öffnen lassen. Eigentlich muss man lachen. Aber ich hab zu viel Zahnpasta im Mund…


"You are laughed at. / You are spit upon. / You are ignored. / You smell. / You lucky bastard." Ich weiß gar nicht mehr, woher, doch irgendwie fiel mir dann dieses große kleine Gedicht vom großen großen Raymond Chandler zu. Und da begriff etwas in mir, dass eine Pechsträhne nur eine Pechsträhne ist, wenn das eigene Ego sich klein, vernachlässigt, versehrt oder sonst was fühlt. In Wahrheit ist eine Pechsträhne, meinen Sie nicht auch, liebe Leserinnen und Leser, nichts anderes als ein Angebot, das Glück rücklings zu betrachten.  


Sonnenseite!


Ihre Violeta Mikić