Violeta Mikić

Pausenbrief 04 | 2021

Er liebt mich, er liebt mich nicht ...

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Ostern liegt hinter uns, alle Ostereier sind aus den Verstecken geholt! Nein, halt, wo ist das grüne? – Mir fiel diesmal besonders auf, wie sehr die Osterzeit eigentlich mit Ersatzformen des Glaubens verbunden ist: an den Osterhasen, an schönes Wetter, Garten- und Urlaubsfreuden, an "Auferstehung" im Alltag. Bloß ist dasselbe Fest, bei dem es doch immer noch mal zu einem Schneesturm kommen kann, mit dieser speziellen, österlichen Bangigkeit vermischt. Wie wird das Jahr wirklich, das schon in vollem Gang ist? Laut zu allen: Ich habe meine Ziele gesetzt. Leise zu mir selbst: Beherrsche ich, was ich kann und weiß?


Ich will sagen, Ostern kommt mir vor wie das Fest des gemischten Gefühls. Man reibt sich ungläubig die Augen, und das hat ja auch das biblische Personal getan. Wie kann es sein, dass jemand, der nachweislich gestorben ist, nicht mehr in seinem Grab liegt? Wo ist er hin? Das ist doch auch in unserem individuellen Leben die Kernfrage, die in uns kreist und kreist und kreist. Ist alles wirklich so? Ostern ist der Elchtest des Glaubens. Und deshalb möchte ich diesen Pausenbrief dazu nutzen, meine kleine Serie zu Glaubensarten auf den Punkt zu bringen: Heute geht es um "Nichtglauben". Wie, Nichtglauben? Das Wort gibt es?

Wir sind natürlich längst mitten drin. Im Pausenbrief zum Februar drehte sich alles um "den Glauben", um das Prinzip, an "etwas zu glauben", im März darum, "an sich selbst" zu glauben. Und nun: "nicht glauben" bzw. "Nichtglauben". Bedeutet Nichtglaube, dass man nichts glaubt?


Ich glaube nicht. Sie kennen doch alle das Gänseblümchenspiel. In dem steckt eigentlich eine Philosophie. Dabei gibt es zwei Ergebnismöglichkeiten:


1. Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich, er – liebt mich nicht – – ? Das war das letzte Blatt?! Nee jetzt, das glaube ich nicht! Das doofe kleine Gänseblümchen hat überhaupt nicht recht. Ich schmeiße es weg, denn ich teile seine Meinung nicht. Ich mochte Gänseblümchen nie. Ach, hätte ich das alles nicht gespielt. Es kann nicht sein, dass er mich nicht lieben sollte. In anderen Worten, man setzt sich über das Resultat des eigenen Orakels hinweg, weil man ihm nicht glauben will.


2. Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich, er liebt mich nicht, – er – yes, er liebt mich! Hört ihr das alle, er liiiiiebt mich wirklich! – Wirklich? – In diesem Fall spricht das Orakel klar für mich. Nun aber folgt ihm diese Stimme, die Gewissheit will, wo eben noch der Kinderglaube ausreichte, um überhaupt anzufangen. Meistens wird gleich ein zweites Gänseblümchen gepflückt, das Zerrupfen wiederholt. Gnadenlos. Und wenn dann alles nochmal so gut ausgeht,also dann liebt er mich wirklich wirklich. Sie merken es. Man hat natürlich alles nur gespielt, weil man in Wahrheit etwas wissen will. Die Gänseblümchen mussten dafür herhalten, dass man sich an eine irgendwie geartete Gewissheit ranpirschen konnte, ohne zu sagen, dass man anderen Aussageformaten niemals vertraut. Jetzt aber, da man etwas sicher wissen darf – kann man es nicht glauben. Der Nichtglaube nagt an uns just in dem Moment, da der Glaube 100% Bestätigung findet.


Kurz, zweimal Nichtglaube. Sind wir unfähig zu glauben?


Ich meine nicht. Kann es nicht sein, dass der Nichtglaube – also der Zweifel, der uns als Menschen gegenüber anderen Organismen ausmacht – die Bedingung ist, unter der wir überhaupt zu glauben beginnen können?


Zu glauben, das ist etwas Unhintergehbares. Wer wirklich glaubt, hat die nagende Stimme in sich beruhigt. Der Monkey Mind ist still, und man tritt heraus aus dem Ja-Nein-Dualismus. Nur einfach ist das ganz sicher nicht. Das muss man üben, meist ein Leben lang. Dennoch ist es möglich zu glauben, keine Frage. Darauf zu vertrauen, dass es mehr gibt als Faktenwissen und kausale Sinnzusammenhänge. Den Antrieb zu einer solchen, klugen Lebenspraxis würde ich als "Nichtglauben" bezeichnen. Es ist der halbe Weg, der nicht kein Weg ist. Sonst könnte man es ja gleich "Misstrauen bis zum Sankt Nimmerleinstag" nennen.

 

Einen schönen Frühling wünsche ich Ihnen allen, bunte Wiesen!


Ihre Violeta Mikić