Violeta Mikić

Pausenbrief 07 | 2022

Licht

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

dies ist der letzte Pausenbrief des Jahres und traditionellerweise mein verbales Adventsleckerli für Sie. Für mich selbst und meine Crew ist so ein letzter Brief immer auch ein Fenster in die Weihnachtszeit bzw. – wenn man umgekehrt durch das Fenster schaut – ein Blick nach innen auf das, was wir zusammen im ausklingenden Jahr ersehnt, erreicht und liebgewonnen haben. Dieses Mal allerdings fehlt mir etwas, um Rückschau und Vorfreude wie gewohnt zu mobilisieren. Wo sind die Flügel, wo meine Äpfelchen, wo die Niederegger Schnitten, die Glocken, der Glanz, unsere roten Backen? Ich weiß, kommenden Samstag zwischen 14 und 22 Uhr könnte ich mir ja eigentlich alles auf dem Weihnachtsmarkt kaufen gehen. Und gleichzeitig weiß ich, selbst wenn ich hinginge, es wäre nicht da. Nicht so wie gewohnt zumindest. Ich könnte selbst in einen Bratapfel beißen. Aber er schmeckte bestimmt sauer.


Vor allem fehlen mir Worte. Wie kann ich meiner Entzauberung noch vorbeugen? Transhumanismus, digitaler Konsum, Inflation, Energiekrise, Null-Covid-Strategie, Ukraine, Macht, Kälte, Hunger, Kriege... Um eine Wendung von Rilke zu gebrauchen: Wie sollen wir unsere Seele halten, dass sie nicht an diese Welt rührt, die am Kippen ist? Unsere Wörter selbst scheinen nicht mehr sprechen zu wollen oder sind austauschbar geworden wie Werbeflächen, was aufs selbe hinausläuft. Es wird insofern schwerer, Lösungen zu entfalten, wir alle spüren das. Und manchmal wünschte ich mir, wieder ein Kind zu sein, das noch kein Bewusstsein davon hat, wie komplex unsere Welt ist.


Etwas jedoch gibt es, das mich gerade in diesen Tagen zum Weitermachen bringt, das mir Mut macht. Etwas, das aus sich heraus strahlt. Es ist der Gedanke des Weihnachtssterns. Dieses kleinen großen Lichts, das plötzlich einfach da sein kann über finsterem Feld. In allen Religionen existiert ja eine gebündelte Erfahrung von Licht: Licht ist weitaus mehr als nur das Gegenteil von Dunkelheit! Daran können wir uns aufrichten, oder etwa nicht? Zumindest für einen Augenblick. Und dann noch einen. Und noch einen. Und dann könnten wir schon mal wieder eine halbe Stunde aufgerichtet sein. Am kommenden Samstag wäre es zum Beispiel möglich oder am 4. Advent. Am besten natürlich beides und darüber hinaus. Die hellen Augenblicke werden sich verdichten.

 

Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie Verzauberte und Verzaubernde sein können!

 

Auf eine heile Zeit,


Ihre Violeta Mikic.