Violeta Mikić

Pausenbrief 05 | 2018

Blinde Flecken auf der inneren Landkarte
Über ungeahnte Differenzen zwischen Selbstbild und Fremdwahrnehmung

Liebe Leser,

die meisten von uns glauben, sich selbst gut zu kennen. Und sind völlig überrascht, wenn Mitmenschen einen ganz anderen Eindruck von uns haben als gedacht (was man freilich nur selten überhaupt erfährt). Wie kommt es zu diesem Gefälle, und inwiefern können wir auf die Wirkung unserer Persönlichkeit aktiv Einfluss nehmen? Die folgenden Zeilen geben darüber Aufschluss. Und wie immer heißt es dabei: Genießen Sie Ihre Pause!  

 

Über 85 Prozent der deutschen Autofahrer halten ihre Fahrkünste für überdurchschnittlich. Für Shelley E. Taylor, Psychologieprofessorin an der University of California, ist diese Art der Selbsttäuschung eine »positive Illusion«. Freilich gibt es umgekehrt auch Menschen, die ihre Fähigkeiten tendenziell unterschätzen. Kaum einer liegt da in der goldenen Mitte. Taylor hat festgestellt, dass bestimmte Grundeigenschaften der Persönlichkeit wie etwa Narzissmus oder Minderwertigkeitskomplexe maßgeblich beeinflussen, wie wir uns selbst einschätzen. Ihr Kollege Daryl J. Bem propagiert diesbezüglich die Methode der »sozial geteilten Realität«: Wir beobachten bewusst, wie andere auf uns reagieren und schließen daraus, wie wir »rüberkommen« (oder eben Auto fahren).  

 

Unsere Präsenz setzt sich aus vielen Facetten zusammen: Die individuellen Temperamentseigenschaften (von schüchtern bis lebhaft) sind nach außen hin unweigerlich sichtbar. Als weiterer Aspekt kommt jene momentane innere Befindlichkeit ins Spiel, die allein uns selbst zugänglich ist: Wir wissen schließlich am besten, was uns rührt oder ärgert – und diese Privatsphäre pflegen wir instinktiv nach außen hin zu schützen. Beobachter müssen sich schon sehr anstrengen, um die tiefer liegenden Emotionen zu orten. Und es liegt an uns, wie viel wir darüber preisgeben. Selbst Hollywood-Stars können jenseits der Kamera durchaus menschenscheu sein – sie haben jedoch gelernt, ihre Unsicherheit zu verbergen. Darüber hinaus gibt es Faktoren, die wir nicht erkennen können oder wollen – es sind die blinden Flecken in der Selbstwahrnehmung. Kaum einer bemerkt, wenn er zuweilen etwa einmal unnötig aggressiv, allzu geschwätzig oder defensiv ist. Die anderen sehen es sehr wohl.  

 

Zusammengenommen ist es also gar nicht so einfach, zu halbwegs objektiven Selbsturteilen zu kommen. Hand aufs Herz: Wie sehr, glauben Sie nun, deckt sich Ihr Selbstbild mit der Fremdwahrnehmung? Halten Ihre Kollegen Sie wirklich für souverän, umgänglich, empathisch? Lässt sich Ihre alltägliche Außenwirkung überhaupt objektiv beurteilen? Es gilt zu bedenken, dass Lob und Bewunderung in der Regel offen ausgesprochen werden – Tadel oder gar Spott erfolgen dagegen bevorzugt in unserer Abwesenheit. Hilfreich ist es, einmal konkret nachzufragen, was man von Ihnen hält – probehalber vielleicht zuerst im privaten Umfeld. Kritik muss man dabei freilich nicht nur zulassen, sondern sollte sie geradezu suchen – und auch aushalten. Lohn der Mühen sind oft ganz neue Erkenntnisse, auf deren Basis Sie dann gezielt an Ihren Verhaltensmustern arbeiten können. 

 

Aufschlussreich sind auch und ganz besonders die nonverbalen Signale: Wir können unsere Körperhaltung zwar im Spiegel betrachten, aber »in Bewegung«, also im so impulsiven wie aussagekräftigen Einsatz von Mimik und Gestik, sehen uns die anderen viel häufiger. Um sich ein genaueres Bild davon machen zu können, wie man uns wahrnimmt, sollte man sich dies stets bewusst machen. Förderlich sind dabei Videoaufnahmen von eigenen sozialen Interaktionen, die sich im Nachhinein gut als Korrektiv des eigenen Auftretens nutzen lassen. 

 

Keine Sorge: Andere beobachten uns nur selten so gründlich, wie wir es ihnen unterstellen. Schließlich ist jeder in seinem Alltag selbst eine Art Schauspieler auf einer Bühne und damit vor allem mit der eigenen Performance beschäftigt. Doch wer sein Auftreten bewusster steuert, gewinnt in jedem Fall an Sicherheit und Souveränität. 

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine stets erfolgreiche Präsenz: 

 

Ihre Violeta Mikić

 

 

 

 

 

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