Violeta Mikić

Pausenbrief 01 | 2020

Wenn die stille Zeit vorbei ist ...

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

"Schöne Weihnachten und einen guten Rutsch!" Das erste Mal hörte ich es heute vor einem Monat. Ich weiß das deshalb so genau, weil ich an einem 6.12. immer an die Nikolausstiefelchen vor unseren Türen und die vorweihnachtlichen, die leisen Hoffnungen denke. Von einem solch offensiv "fröhlichen" Gruß, wie er im Winter nur zur Weihnacht passt, wurden diese regelrecht von der Bildfläche gefegt just in dem Moment, in dem sie sich doch gerade erst zeigen wollten. Advent – das ist ja gerade die Andeutung und Anbahnung, nicht die Erfüllung, es ist das Herantasten ans ganz große Fest. Etwas Wunderbares, meine ich.


Nun bin ich mit diesen Überlegungen, könnten Sie einwenden, mindestens genauso viel zu spät im Kalender wie die guten Wünsche zur Weihnachtszeit zu früh kamen. Richtig! Aber zum einen möchte ich Sie ein bisschen aus dem Winterschlaf kitzeln. Zum anderen nimmt man es nicht so wahr, oder? Einen Gedanken zum Nikolausfest am Tag der Heiligen Drei Könige anzubringen, das wirkt fast wie ein Fauxpas oder zumindest launig. Was, Frau Mikić redet am 6.1. über Weihnachten? Hingegen Anfang Dezember auf die Heilige Nacht hinzuzielen, das nehmen wir hin, stecken es weg. Selbstverständlich hat dies etwas mit der Zeit zu tun, wie sie den meisten von uns beigebracht wurde: Zeit stürzt nach vorne. Der Vektor der Beschleunigung ist unser Maß. Da verknappt sich unsere Wahrnehmung. Umgekehrt sind wir viel sensibler. In der Rückschau achten wir mehr auf Ungereimtheiten, weil wir selbst eine Vergangenheit besitzen oder zu besitzen glauben, und würden die Uhren rückwärts gehen, wäre auch die Zeit langsamer, das glaube ich.


Jedenfalls ging es mit der Weihnachtsgrüßerei dann munter so weiter. Weihnachtsmärkte, verkaufsoffene Sonntage, Betriebsfeiern – die Gelegenheiten, sich alles Gute zu wünschen, potenzierten sich. Ich musste an Karl Valentin denken: "Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen". Bis ich mich kurz vor Weihnachten im Kaufhaus bei dem Stoßgebet ertappte, dass eine Verkäuferin mir bitte nichts wünschen möge. Weil ich hab' schon alles! Ist Ihnen das auch passiert? Ich – trollte mich ein bisschen. Denn es war doch freundlich gemeint, keine Frage, und Riten haben notwendig etwas mit Wiederholung zu tun. Nur hätte ich in diesem Augenblick gerne etwas von der Stille gehabt, die mir zur "Stillen Nacht" mit auf den Weg gegeben wurde. Wann ist denn dafür Zeit, bitte? In der richtigen stillen Nacht sind wir mit dem Kopf schon beim Silvesterknallern. Das Nächste wird vom Übernächsten unterwandert. Die Zeit verkehrt sich. Das Zukünftige liegt vor dem Heutigen. Das ist launig.


Deshalb meine Frage wiederholt: Wann ist Zeit für Stille und Stilles? – Antwort: Jetzt! Und zwar immer jetzt! Dazu gesellt sich noch mal Karl Valentin: "Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch wieder ruhiger". Also jetzt jetzt! Ab heute, 6.1.2020!


Und damit wünsche ich Ihnen ein besinnliches neues Jahr! Ich weiß, in der Formulierung ziept das. "Besinnlich" und "neu", zwei Wörter, die noch nicht recht zueinander passen wollen. Doch genau so meine ich es: Es geht nicht um Besinnliches mit immergrünem Tannenbaum und Stollenduft. Es geht um "Besinnung" als Frageform dessen, was für uns jetzt "Sinn" macht. Mein Pausenbrief, der mit dieser Ausgabe wieder im gewohnten Vollformat erscheint, hofft, hier seinen Beitrag machen zu können. Nomen est omen.

Dies wünscht sich selbst


Ihre Violeta Mikic