Pausenbrief 02 | 2021
"Ja, aber...."
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
das Wort
"glauben" geistert herum. Nicht bloß die Vokabel an sich, sondern die
Sache selbst – "der Glaube". Geht Ihnen das auch so? Wo man im Moment
hinkommt oder hineinhorcht, man trifft auf Menschen, die von sich sagen, dass
sie an etwas "glauben". Natürlich lässt sich daraus nicht immer
gleich ablesen, ob eine systematische Sinnsuche gemeint ist, vielleicht sogar
eine konfessionelle Glaubenspraxis oder ob erstmal nur grundlegender Zweifel am
Prinzip "Wissen" betont wird. Dennoch scheint es en vogue zu sein,
überhaupt "zu glauben". An was genau, wirkt zweitrangig. Was nicht
notwendig ein Nachteil sein muss.
Derweil die
Kirchenaustritte in Deutschland Rekordniveau erreichen, schießen
Meditationszentren aus dem Boden, frau und man ist Yogi*ni, Fernreisen mit
spirituellem Ziel haben Hochkonjunktur, genauso Achtsamkeits-Kurse und
Aszendent-Berechnungen, und für Meeting-Pausen gibt es Andachts-Apps. Die
Menschen hören nicht auf, an etwas zu glauben, sie wandern nur ab. Immer weiter
weg von den paternalistischen, autoritären Glaubenslehren. Um wo anzukommen?
"Ihr glaubt doch
nicht etwa an Gott oder sowas?" Das fragte kürzlich der Sohn einer
Kollegin in die Runde. Wir saßen in der Küche. Die Situation war bühnenreif.
Denn die Frage ist natürlich hervorragend gerade wegen ihrer rhetorischen
Verneinung. Alle reagierten impulsiv, einige sprangen auf wie beim
Bingospielen: "Nein! Aber..."Der Sohn grinste. Uns
wurde klar, dass er uns eine Zwickmühle gebaut hatte:
Man kann auf seine Frage
in jedem Fall nicht mit "Ja" antworten. Rein grammatikalisch nicht.
Seltsamerweise auch nicht mit "Nein". Allzumal strikter Nichtglaube
selbst schon wieder eine Glaubensform wäre. Die Frage zielt auf ein "Dazwischen".
Sie lässt sich nicht glatt beantworten. Das macht sie so gut. Am Ende wurde es
für uns zu einem Lehrgang in Sachen "Jein". Es kommt hier ganz
entschieden auf etwas Ungefähres an! Wir hätten alle "Nein, aber..."
so bequem wie "Ja, aber..." sagen können. Ganz egal. Denn erst im
Wörtchen "aber" steckt das Potential – das Nichtbegriffene,
Unerklärliche, Ungelebte, Erhoffte, Wünschbare unserer Existenz, und was weiß
ich nicht noch alles. Das aber heißt, dass die Frage nach dem Glauben so oder
so bei einem selbst landet. Sie geht aufs Höchste und landet im Privaten. Ich
spiele den Gedanken weiter: Ohne mich gäbe es keine Welt und keinen Gott,
richtig? Schlicht deshalb, weil keiner da wäre, solches zu rezipieren. Schon
die Götter der griechischen Antike wussten, dass sie auf die Sterblichen
angewiesen sind, weil sie sich nur durch diese ihrer Unsterblichkeit versichern
können. Gibt es mich aber, – und dafür habe ich ja einigen Beleg –, bin ich je
schon mehr als nur meine Biomasse. Um dieses "Mehr" geht es. Zu
glauben bedeutet doch konkret, an mehr zu hängen als nur dem sicht-, hör- und
fühlbaren Leben. Zu glauben bedeutet, über sich hinaus denken zu können. Sich
nicht mit Gewissheiten zufrieden zu geben. Dafür muss man nicht unbedingt sagen
"Ich bin gläubig." Allerdings auch keine Angst davor haben, sich
eines Glaubens verdächtig zu machen.
"Information ist
nicht Wissen, Wissen ist nicht Weisheit, Weisheit ist nicht Wahrheit, Wahrheit
ist nicht Schönheit, Schönheit ist nicht Liebe, Liebe ist nicht Musik, Musik
ist das Beste." Zitat Frank Zappa (aus dem Album Joe's Garage Act III).
Als ich das neulich auf einem Plakat las, dachte ich: Wo ist denn der
"Glaube"?! Ich rieb mir tatsächlich die Augen. Das Wort
"Glaube" war so sehr nicht da, dass es durch Auslassung glänzte.
Inzwischen glaube ich, es ist dazwischen. Sprich, überall.
Herzlich,
Ihre Violeta Mikić