Pausenbrief 02 | 2020
"Bitte ein Taxi"
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Wie viele von Ihnen wissen, arbeite ich in meinen Coachings immer wieder mit technischen Medien – "mediale Hilfsmittel", wie sie gern genannt werden. Doch diese Zuschreibung stimmt im Grunde nicht. Earplugs, iPhones, Mikros, Laptops, Livecams sind eigentlich unsere geheimen Stilmittel. Ob sie nun auf einem Produktevent oder im Erlebnisurlaub, auf der Aktionärsversammlung oder beim Candle-Light-Dinner zum Einsatz kommen, wir stehen mit all diesen Utensilien in einem Beziehungsgeflecht, und hierzu gibt es in der technisierten Welt auch keine Option mehr, unabhängig davon, was wir uns wünschten, wären wir auf einer einsamen Insel, die es auch nicht mehr gibt. Obendrüber fliegen die Drohnen, über den Drohnen die Satelliten, und diese wieder helfen Google Maps qua Routenplanung, für uns am Samstagmittag den besten Parkplatz in der City zu ergattern.
Der große Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan hat einmal gesagt, Medien seien nichts anderes als "extensions of man", also Extremitäten. Ein Teil unserer selbst. Um nicht zu sagen, ein Teil unseres Selbst. Erinnern Sie sich noch an die Angestellten auf den alten Postämtern, die für die Ausgabe von Briefmarken und Geldscheinen verantwortlich waren? Über ihren Daumen hatten sie oft gummierte Fingerhütchen gesetzt. Die waren taubenblau oder orange, und sie halfen, das Zählen des Papiers zu beschleunigen. So wie diese zweiten Daumen können wir uns auch unsere technischen Medien vorstellen. Sie ergänzen uns, und wir ergänzen sie.
Also wenn die Balance gehalten wird.
Vor zwei Wochen hatte ich kurzfristig einen interessanten Auftrag hereinbekommen. Es ließ sich nur so einrichten, dass ich zwischen zwei anderen, längst fixierten Terminen non-stop nach München reisen, vom dortigen Flughafen aus direkt an den Empfang und vom Empfang mit Extrashuttle zum Programmauftakt gebracht werden würde. Mein Sekretariat buchte online einen Fahrtenservice. Premium-Wahl, gesichertes Payment, digitaler Assistent. Vor dem ersten Kaffee war ich in München. Die Sonne ging gerade auf, doch wo war jetzt der Fahrer? Baff. Kann ja nicht sein. Premium-Wahl, gesichertes Payment, digitaler Assistent. Aber konnte eben doch sein. Es kam kein Fahrer, es kam kein Service. Wir riefen an. Direkte Durchwahl keine. Ansprechpartner*innen? Keine. Verweis aufs Kontaktformular. Parallel mein Zeitticker. Nun ja, Sie kennen es alle. Warteschlaufe, Warteschlaufe. Man bezahlt heute mit seinem Nervensystem.
Plötzlich kam doch ein Fahrer. Er hing mit dem Ellenbogen über dem Fensterrahmen und fragte, ob ich das sei und mitwolle. Seltsamerweise fand ich das genauso unpassend wie keinen Fahrer zu bekommen. Ob ich das sei. "Ja, sicher bin ich das!“
Aber da war er schon durchgestartet, es warf mich in den Sitz zurück. Ich wollte wissen, ob dies nun der richtige Fahrtenservice war. Keine Antwort. Der Typ klickte auf seinem Smartphone herum. "Hallo?" Keine Antwort. Jetzt war er bei der Programmierung des Navigationssystems. War ich überhaupt die richtige Kundschaft für die Straße, zu der er mich fuhr? Keine Antwort. Immer keine Antwort. Wie lange hält man es aus, hier die Contenance zu bewahren? Beziehungsweise verflachen Stilmittel zu Hilfsmitteln, weil so viele Menschen offenbar gar nichts mehr daran finden, zu Dienern ihrer Automaten geworden zu sein. Die Balance ist verloren, weil sich niemand fürs Antworten zuständig fühlt. Im McLuhanschen Sinne ergänzen wir heute so sicherlich die Medien, wir verhelfen unseren Geräten zu ihrer Daseinsberechtigung. Doch die Medien ergänzen uns nicht mehr, sie unterwandern unsere Wünsche, Planungen, unsere Fähigkeit zur Konzentration.
Denn bedenke, Dein Gerät ist immer nur so gut wie Du selbst.
P.S. Wiederholt höre ich von Leuten, die ihr Smartphone abschaffen. Neulich auch eine Kollegin. Als wir darüber sprachen, imitierte sie ohne ein Gerät in der Hand zu haben die tief geneigte Kopfhaltung über einem Display und sagte dann, den Blick von unten herauf zu mir hebend: "So will ich nicht leben."Ich auch nicht.
Ihre Violeta Mikić