Violeta Mikić

Pausenbrief 04 | 2024

Home sweet Home

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich drehe die übliche Anredefolge kurzerhand um, denn – liebe Freunde, Kollegen, werte Herren – da beschäftigt mich etwas, das vermutlich nur Sie beantworten können. Ich muss bei dieser Sache auch lachen, staune vor allem über mich, die ich hier mit meinem ganzen Köfferchen voll non-verbaler Kommunikationsmittel stehe und nicht weiter weiß:


Neulich kommt ein Freund zu mir. Ich hatte ihn zum Essen eingeladen. Es klingelt, wir umarmen uns noch vor der Tür und wollen eben ins Haus gehen, als ich ihn bitte: "Ach, sei doch so lieb, zieh Deine Schuhe aus, ja?" Wir sind es doch alle gewohnt. Geschätzt die Hälfte der Weltbevölkerung zieht die Straßenschuhe aus, sobald man Innenräume betritt. Ostasien, die islamischen Länder, selbst in Skandinavien habe ich es oft erlebt. Ich hatte also nicht das Gefühl, etwas Pietätloses zu erbitten. Doch was war seine Antwort? – "Nein." – Wie, nein? Er wiederholte seine Position bei wiederholter Bitte. Er sagte einfach "nein" und: "Das mache ich nicht." Keine Erläuterung, keine Entschuldigung. "Wein und Bier schmecken süß/ Versauf' ich auch Schuhe, behalt ich doch Füß'", dachte ich. Dann geisterten die Knigge-Regeln für "Hausrecht" und "Gastpflicht" durch meinen Kopf. Die demütige Gastgeberin in mir versuchte es noch mal mit einem Kompromissangebot. "Fußschweiß? Du, es ist kein Problem!" Kopfschütteln. "Ich hätte auch Überschuhe!" Ich hoffte auf seine Empathie, ich komme doch aus Kroatien. Aber er blieb, wo er stand, mit Schuhen. Überschuhe ziehe er nicht an. Und zwänge ich ihn nun dazu, hoffte er einfach auf ein nächstes Mal woanders und würde ansonsten "auf dem Absatz kehrtmachen." So formulierte er es…


Das Verrückteste daran ist, dass ich solch kommunikative Unbeweglichkeit schon drei-, viermal zuvor erlebt habe. An anderen Orten, mit anderen Menschen, offen gestanden jedoch immer mit Männern. Und ohne allzu Individuelles verallgemeinern zu wollen, frage ich Sie nun, was bedeutet das?? Schriftsteller*innen wie Walter Benjamin, Mascha Kaléko, Karl Kraus haben gerade aus den nebensächlichen Erscheinungen des Alltags ein Gesellschaftsbild gezeichnet, das großen Entwürfen in nichts nachsteht. Ich fühle mich insofern nicht allein, was Wahrnehmungsränder betrifft. Welche innere Uniform ist es, die manchen Männern diktiert, ihre Schuhe partout anbehalten zu wollen? Schuhe – Schluppen – Schnäbel – Speerspitzen, ist es was Freudianisches? Oder aber etwas Modisches? Oder etwas, das lebensweltlich so dicht mit einem verwoben ist, dass alles zur Anfechtung wird, welches die Verbindung zu "Mutter Erde" gefährdet? Ich phantasiere längst. Und versuchte an diesem Abend auf Hochtouren, in einer gesunden Kommunikation zu bleiben. Wie schwer das ist, wenn einem etwas, tja, soll ich jetzt sagen: über die Hutschnur geht, spüre ich physisch bis heute.


Hut trug er übrigens nicht. 



Samthandschuhe!


Ihre Violeta Mikic