Violeta Mikić

Pausenbrief 03 | 2021

"An sich zu glauben"

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

im letzten Monat an dieser Stelle ging es um "Glauben" – großgeschrieben. Um "den Glauben", mit dem die meisten Erziehungsprogramm, Sinnsuche, konfessionelle Praxis oder auch Zweifel am "Prinzip Wissen" verbinden. Parallel dazu kursiert aber noch eine Glaubensform. Freilich eine ohne Konfessionen, ohne heilige Bücher und sogar ohne Gläubige. Es kommt eher wie ein Wildwuchs daher – ich meine den Glauben an sich selbst.


"Glaube an sich", das ist beinahe schon chic. In den Yoga- und Meditationsschulen, Coachingfirmen, PR-Abteilungen ist es Mantra No. 1. "Sei du selbst!" Könnte man sagen, wie eine Ersatzreligion? Als wäre, seit nach Friedrich Nietzsche "Gott tot" ist, das superaufgeklärte Ich an dessen Stelle getreten, und unsere Sehnsucht richtet sich nun nicht mehr gen Himmel, sondern auf die eigenen Fähig- und Fertigkeiten.


Alle, die an eine genuine Schöpferfigur oder -kraft glauben, werden das als blasphemisch empfinden. Und das ist es auch, sobald die Bezüge zu dicht werden. Man muss nicht religiös sein, aber dass es nicht sein kann, dass ein*e Einzelne*r einen so hohen Wirkungsgrad habe wie Gott, ist dann doch den meisten klar. Das ist pathologisch narzisstisch. Personen der jüngsten Geschichte, die unter solchen Allmachtsphantasien leiden, fallen sicher jedem von uns ein. Ziehen wir das Feld darum auseinander.


Zunächst sollten wir die Sache anders bezeichnen: "An sich zu glauben" ist schon etwas ganz anderes als "der Glaube an sich". Das Verb bringt es auf ein Normalmaß herunter. "Etwas glauben" betont das Werdende anstelle eines Gewordenen. An sich zu glauben, das ist ein Prozess, meist lebenslang. Es gibt für diesen Prozess keine Gebotetabelle, in der geschrieben stünde, wie man dieses und jenes nicht machen soll. An sich zu glauben, das ist im Keim sogar etwas äußerst Ich-Kritisches, denke ich. Wer wirklich gelernt hat, an sich und die eigene Kraft zu glauben, muss zuvor viele, sehr viele Hürden in der Auseinandersetzung mit dem genommen haben, was im eigenen Leben gerade nicht gelungen, was belastet, negativ vorgeprägt oder beschädigt, eventuell sogar kaputt gegangen ist. Wer ehrlich an sich selbst glaubt, kann dies nur aus dem Bewusstsein heraus tun, dass das "Ich" ein verflixt zersplitterter Kandidat ist. "Ich" unter der Lupe betrachtet ist randvoll mit Ängsten, Kontaktschwierigkeiten, Aggressionen, Ohnmachtserfahrungen.


Und daran soll man glauben? – Nein. Aber zu akzeptieren, dass man als Mensch uneins in sich ist, das macht still. Wir sind alle Antiheld*innen. Und wer still sein kann, der reift. Wie ein Wein, der ruhig lagern muss, damit er Charakter bekommt.


An sich zu glauben bedeutet insofern, es nicht nötig zu haben, laut zu sein! Vor allem muss man Glauben so nicht mehr auslagern. Man muss nicht suchen, was in der Außenwelt einen so sehr reizt, dass man sein Credo daran heftet. Umgekehrt – "nach innen geht der geheimnisvolle Weg", schrieb Novalis in einem seiner Blüthenstaub-Fragmente. "Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns?" Ein Mensch, der dies in voller Konsequenz aushalten kann mit all den schwarzen Löchern, der, meine ich, darf erst zu Recht vorbringen, "ich glaube an mich selbst." Ein solcher Mensch glaubt an sich kraft der Einsicht, dass der kritische Abstand zur eigenen Person das gesunde Selbst konfiguriert. Und ein solcher Mensch ist nicht notwendig gläubig. Aber glaubwürdig!


Wenn es überhaupt ein Ziel gibt, – so zu sein, dies wäre eines, glaube ich. Mit guten Wünschen zum Monatsstart,


Ihre Violeta Mikic.