Violeta Mikić

Pausenbrief 11 | 2016

Gesünder, erfolgreicher – und überhaupt immer besser?
Ein Exkurs über Segen und Fluch der Selbstoptimierung

Liebe Leser,

wohl dem, der mit sich selbst rundum zufrieden ist. Leider geht das nur den allerwenigsten so. Nicht umsonst heißt es: »Nobody is perfect«. Gut, dass sich an so einigen Schräubchen etwas drehen lässt. Aber insbesondere die modernen Instrumente der Selbstoptimierung haben durchaus ihre Tücken. Welche das sind, erfahren Sie hier. Und wie immer heißt es dabei: Genießen Sie Ihre Pause!  

 

Das Smartphone bietet mir einige Apps, die mein Leben vermessen. Mich etwa daran erinnern, dass um 19 Uhr Sport angesagt ist. Sie alle folgen den Grundprinzipien der Selbstmaximierung: Planen, Beobachten, Überprüfen. Ganz neu ist das Ganze nicht: Der Münchner Psychologe und Ökonom Gustav Großmann empfahl schon 1927 in seiner Schrift »Sich selbst rationalisieren« Erfolgsuchenden, ihren Tagesablauf penibel im Voraus zu planen und rückblickend zu protokollieren. Auch Goethe verfasste solche umfangreichen Tabellen. Wie diese Gelehrten wohl die heutigen Apparate bestaunen würden, die unsere in Terabyte gebannte persönliche Leistungsschau in Handlungsempfehlungen umrechnen und konservieren?  

 

Digitale Selbstoptimierung liegt im Trend, Tendenz steigend: Allein in den USA sind es inzwischen geschätzte 40 Millionen – überwiegend männliche – Menschen, die computergesteuert am eigenen Ich basteln. Die Diät-App »Lose it!« feierte 2013 online die 22 Millionen geschmolzenen Pfunde ihrer User, auf »Nike+« vergleichen 10 Millionen Nutzer ihre Werte. Elektroden im Schuhwerk messen abgearbeitete Kilometer, Sensoren in Armbändern und Uhren vergeben Fitnesspunkte.  

 

Auch hierzulande kursiert das Kontrollfieber. Eine Berliner Bank etwa verpasste über 300 Mitarbeitern digitale Schrittzähler. 10.000 Schritte am Tag sollen ihre „Fitness steigern und die Krankheitsquote senken“. Warum rebelliert eigentlich niemand, warum überlassen Millionen Menschen freiwillig ihre intimsten Daten der kaum zu kontrollierenden Internet-Öffentlichkeit? Brauchen wir das wirklich?  

 

Freilich finde ich es gut und richtig, an eigenen Schwächen zu arbeiten. Viele Defizite lassen sich mit diszipliniertem Training in den Griff kriegen. Nicht zuletzt zielt mein Beruf auf Selbstoptimierung ab. Wir alle möchten besser leben, effizienter arbeiten, erfolgreicher werden. Aber den Weg dorthin kann uns keine Maschine bahnen. Es steht vielmehr zu fürchten, dass die digitale Überwachung des Alltags tatsächlich eher ein Kontrollverlust über unsere eigenen Entscheidungen ist.  

 

Den Sport habe ich nach dieser Niederschrift sausen lassen, mich ganz bewusst mit einem guten Buch aufs Sofa verkrümelt. Soll sich doch heute mal mein Smartphone mit dem Body-Mass-Index allein herumschlagen – den Zuwachs an Weisheit, Kreativität und neuen Ideen vermag es nicht zu messen.  

 

Herzlich:  

 

Ihre Violeta Mikić.