Violeta Mikić

Pausenbrief 12 | 2017

Lügen haben kurze Flossen?
Willkommen in den Gewässern des postfaktischen Zeitalters!

Liebe Leser,

ein weltpolitisch turbulentes Jahr neigt sich dem Ende zu. Wohl dem, der im postfaktischen Zeitalter noch durchblickt! Die ersehnte »objektive Wahrheit« flackert so diffus wie eine schlecht gegossene Kerze. Es ist ein probater Ablass, mich mit dem Phänomen der Lüge zu beschäftigen – im Hinblick auf die Körpersprache ein besonders spannendes Thema. Wie immer heißt es dabei: Genießen Sie Ihre Pause! 

 

Karl May, einer meiner frühen Lieblingsautoren, hat angeblich gut zwei Dutzend Mal die USA besucht und einen Doktortitel innegehabt. Später fand ich heraus, dass nichts dergleichen stimmte. Es hat mich nie gestört. Viele vermeintliche Amerikareisende waren nie in Übersee. Und wussten dennoch bezaubernde, wenngleich erfundene Geschichten aus dem Wilden Westen zu erzählen.  

 

Aber selbst die künstlerische Freiheit muss in moralischer Hinsicht zuweilen vor der Realität Halt machen. Die meisten Menschen gehen recht vertrauensvoll durch die Welt und rechnen nicht damit, übers Ohr gehauen zu werden. Wer jedoch dieses Grundvertrauen zu seinem Vorteil ausnutzt, gehört abgestraft. Doch wie heißt es so schön: Lügen haben kurze Beine. Es gibt also Mittel und Wege der Enttarnung.  

 

Experten der Kriminalpsychologie wissen das recht gut. Allzu perfekte, detailliert erzählte Aussagen sind weniger glaubwürdig als holprige Erinnerungen. Der Verdächtige legt seine Worte vorab zurecht, studiert sie gut ein. Ein harmloser Zeuge gibt eher zu: »Äh, ich weiß es nicht mehr so genau.« So weit zur Rhetorik. Aus Sicht der Körpersprache wird es komplizierter. Lügt jemand, bloß weil er sich an die Nase fasst oder ein Gesichtsmuskel zuckt? Wohl kaum. Erst in der Summe der Bewegungen – nämlich wenn sie nicht zueinanderpassen – kommen Widersprüche zum Tragen. Der Kommissar schaut genau hin, er weiß: Lügen stresst. Sein Gegenüber versucht, die Anstrengung zu verbergen, sich zu kontrollieren. Das heißt, dass illustrative Gesten zurückgenommen werden, die Haltung gerät steifer. Manche Lügner lassen sich anhand geballter Stresssymptome entlarven. Oder indem man sie einfach ihre Geschichte von hinten nach vorn erzählen lässt. 

 

Kürzlich habe ich ein zoologisches Aquarium besucht. Das ist ein wahrer Tummelplatz für Täuschungsmanöver. Der Teppichhai (heißt wirklich so!) gibt vor, ein natürlicher Bodenbelag mit Fransen zu sein. Ein ahnungsloser Fisch schwimmt dem trägen Gesellen direkt vor das Maul, und dann schnappt der Meeresräuber zu. Biologen sprechen dabei von der »effizienten Beutegreiferart.« Die Verstellung – also die Lüge –, so zeigt es die Tierwelt, gehört ganz natürlich zum Leben auf unserer Erde. Im menschlichen Miteinander gibt es allerdings ganz konkrete Instrumente, derlei Gefahren zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren.  

 

In diesem Sinne verbleibe ich ganz aufrichtig und mit den besten Wünschen für erholsame Feiertage und einen guten Rutsch in ein tolles Jahr 2018 mit weniger „Fake News“:  

 

Ihre Violeta Mikić

 

 

 

 

 

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