Violeta Mikić

Pausenbrief 12 | 2018

Einsamkeit will gekonnt sein
... und seien Sie froh und getrost!

Liebe Leser,

»Sie sollen nicht ohne einen Gruß von mir sein, wenn es Weihnachten wird.« Mit diesen wohlfeilen Worten aus der Feder Rainer Maria Rilkes läute ich meinen aktuellen Pausenbrief ein, der sich – passend zur besinnlichen Jahreszeit – dem Phänomen der Einsamkeit widmet. Ein allzu düsteres Thema? Keine Sorge: Nicht nur Rilke hatte dazu Erhellendes zu sagen. Welche Erfüllung uns die Stunden der Einsamkeit zu bieten haben, das erfahren Sie hier. Und wie immer heißt es dabei: Genießen Sie Ihre Pause!

Wissenschaftlich ist die Einsamkeit schwer zu fassen; fest steht nur, dass sie allseits so unbeliebt wie gefürchtet ist. Mancherorts scheint sie gar als Volkskrankheit zu gelten – etwa in England, wo Premierministerin Theresa May Anfang 2018 ein Einsamkeitsministerium etabliert hat. Das klingt nun im Zusammenhang mit dem Brexit unfreiwillig komisch, zeigt aber die gesellschaftliche Relevanz des Themas. Hierzulande klagen selbst Prominente wie Filmstar Matthias Schweighöfer, Fußballtrainer Mirko Slomka oder die Grünen-Chefin Claudia Roth über Einsamkeit. Klar, das ist wie beim Bergsteigen: Je weiter man nach oben kommt, desto dünner wird die Luft. Es gilt also auf der Karriereleiter die richtige Atemtechnik zu beherrschen – im übertragenen Sinne, versteht sich.

Jeder ist mal allein, jeder fühlt sich mal einsam. Merken Sie den Unterschied? Alleinsein ist ein Zustand, Einsamkeit eher ein Gefühl, das uns durchaus auch in Gesellschaft wie etwa auf einer Party erwischen kann. Dabei müssen wir uns darüber im Klaren sein und akzeptieren, dass beides im Leben immer wieder vorkommt – nicht zuletzt im Hinblick auf das Alter empfiehlt es sich, den rechten Umgang mit dem Alleinsein wie auch der Einsamkeit beizeiten zu üben. Oder anders gesagt: die Nähe zu sich selbst, die innere Einkehr zu kultivieren.

Und nun zurück zu Herrn Rilke. Die eingangs erwähnte Zeile entstammt einem Brief aus der Weihnachtszeit des Jahres 1903 an den jungen Poeten Franz Xaver Kappus, der Rilke zufolge wohl schwer an seiner Einsamkeit zu tragen hatte und dem er riet, sich davon »nicht irre machen« zu lassen: »Was not tut, ist doch nur dieses: Einsamkeit, große innere Einsamkeit. In-sich-gehen und stundenlang niemandem begegnen, – das muss man erreichen können. Einsam sein, wie man als Kind einsam war, als die Erwachsenen umhergingen, mit Dingen verflochten, die wichtig und groß schienen, weil die Großen so geschäftig aussahen und weil man von ihrem Tun nichts begriff.« Ja, das kommt wohl jedem halbwegs bekannt vor. Welche Wertschöpfung aber Rainer Maria Rilke daraus zu ziehen vermochte, will ich Ihnen ebenfalls nicht vorenthalten: »Denken Sie, lieber Herr, an die Welt, die Sie in sich tragen (...); mag es Erinnerung an die eigene Kindheit sein oder Sehnsucht zur eigenen Zukunft hin, – nur seien Sie aufmerksam gegen das, was in Ihnen aufsteht, und stellen Sie es über alles, was Sie um sich bemerken. Ihr innerstes Geschehen ist Ihrer ganzen Liebe wert, an ihm müssen Sie irgendwie arbeiten und nicht zu viel Zeit und zu viel Mut damit verlieren, Ihre Stellung zu den Menschen aufzuklären.«

Ob auch Albert Einstein diese Zeilen, nachzulesen im Buch »Briefe an einen jungen Dichter«, studiert hat, weiß man nicht. Aber der Physiker dürfte sehr wohl gewusst haben, wovon die Rede ist, und er setzte das Prinzip vortrefflich um: »Ich lebe in jener Einsamkeit, die peinvoll ist in der Jugend, aber köstlich in den Jahren der Reife.«
 

Mit dem schönen Gruß »Und seien Sie froh und getrost!« beschloss Rilke formvollendet seinen Brief an Kappus. Ganz in diesem Sinne wünsche ich Ihnen friedliche und entspannte Weihnachtstage:


Ihre Violeta Mikić.






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