Violeta Mikić

Pausenbrief 09 | 2025

Die Kunst, trotzdem loszufahren

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

nach den Sommerferien denke ich immer ans alte Kasperletheater: "Seid Ihr alle da?" Auch wenn die Arbeit losgeht, hat es doch etwas Gemütliches, wenn alle ihre Koffer auspacken und sich wieder zu Hause einrichten. Sogar die Routinen fühlen sich dann irgendwie gesellig an.


In den letzten Jahren mischt sich in unser Da-sein allerdings die Deutsche Bahn in einer Weise, dass überhaupt nicht alle da sind. Höchstens verspätet. Oder nicht, wo sie sein wollen. In den meisten Fällen lässt sich auch gar nicht mehr von Verspätung reden. Sondern von Verhinderung. Die Bahn ist kein Fahrgastbeförderungsunternehmen mehr, sondern eine Reiseverhinderungsanstalt.


In der Woche vor meinem Urlaub etwa standen noch binnen 4 Tagen 7 Zugfahrten auf dem Programm. Minus mal minus ergibt plus: 7 Verspätungen, aus denen sich in Wahrheit 9 Zug- und 1 Schienenersatzverkehrfahrt ergaben. 7 mal also reiche ich meine Verspätungsunterlagen für eine Erstattung ein. 7 bis 107 mal frage ich mich, was man überhaupt noch für Gestaltungsmöglichkeiten hat, wenn Regel und Ausnahme vertauscht sind. Es ist heute etwas ganz Besonderes, pünktlich zu sein. Stinknormal hingegen ist es, zu spät zu kommen.


Und so verfiel ich in meiner Urlaubsfrische (in die/ aus der ich – klaro – auch nur wieder verspätet kam) einer Idee. Was haltet Ihr Mitreisenden, Mitleidenden, davon, wenn wir eine Petition an die Bahn schicken, in der wir fordern, dass die verdrehte Lage nun bitte endlich systematisiert werde. Nämlich so: Wir steigen alle ein ohne Ticket. Fahren. Warten. Warten. Fahren. Warten [...]. Ankommen. Und erst, wenn wir am Ziel sind, bezahlen wir das, was wir tatsächlich gefahren sind ohne Verspätung.


Ich stelle mir die Papierberge vor, die eingespart werden könnten. Angestellte, die aus der Reklamations- in die neue Lobabteilung versetzt werden. All unser Kopfschütteln könnte eingespart werden und wir erhobenen Hauptes an unsere Bestimmung gelangen. Die Holländer haben ein wunderbares Sprichwort: "Eerst kijken, dan koopen." Genau. Erst fahren, dann zahlen.

 

Willkommen zurück in good old german Tretmühle!


Ihre Violeta Mikić