Violeta Mikić

Pausenbrief 09 | 2020

Glaube – Liebe – Hoffnung

Liebe Leser, liebe Leserinnen,

ich bin aus dem Urlaub zurück 'philosophisch' gestimmt, Sie auch?! Das Meer hat meine Gedanken geweitet! Ich habe Schiffe am Horizont kreuzen sehen, und es ist wundervoll, mitreisen zu können, ohne einsteigen zu müssen. Neue Zuversicht ist also da, auch in der Ferne etwas zu entdecken. Das Unbekannte ist jetzt wieder viel weniger angst-, denn glückvoll besetzt! Durch den Druck all der coronabedingten Veränderungen war doch einiges davon verloren gegangen. Übrigens, gut war auch zu sehen, dass im Süden Europas weit weniger dogmatisch mit dem Infektionsschutz umgegangen wird. Damit meine ich nicht die staatlich-medizinischen Vorkehrungen. Wohl aber die persönliche Komponente, die zwischenmenschlichen Lösungen. Viele im Mittelmeerraum sind härter von der Pandemie getroffen, aber kaum jemand denkt in Statuten wie wir in Deutschland. Niemand will der Säulenheilige der Pandemiegesetzgebung werden. Der Umgang mit der Maskenpflicht etwa ist im Süden viel abwartender, rationaler, es wird als das praktiziert, was es ist – ein Teilschutz. Entsprechend zivilisiert, sprich: verhältnismäßig entscheidet jede*r, wie man mit so einer neuen Verordnung umgeht. Nirgendwo maßregelt jemand die anderen. 'So und so musst Du das tragen und nicht anders.' Diesen Ton gibt es nur bei uns. Und als ich nach Berlin zurückkam, sah ich als Erstes ein Poster der Corona-Kampagne des Bundesministeriums für Gesundheit: AHA : Abstand – Hygiene – Alltagsmaske. Eine flotte Grafik mit bunten Männchen, die mir die Mitteilung comicartig auf meine Festplatte zu bringen sucht, signalisierte, ich bin wieder zuhause, in Deutschland, wo man die Corona-Belehrungen inzwischen mit Maskottchen unter die Leute bringt. Doch Didaktik und Fürsorge passen nicht recht zusammen, so bunt man es auch anstreicht. Dahinter liegt diktierte Fürsorge.


Kurz hinterm Flughafen gleich das nächste Schild: Glaube – Liebe – Hoffnung. Aushang an einem Kirchenportal. Da musste ich dann doch lachen. Es verband sich mit der Zeigefingermentalität des AHA und wirkte flach, gerade weil es so hoch und heilig daherkam. 'Friede – Freude – Eierkuchen', oder was? Ich erinnerte mich an das Theaterstück Glaube Liebe Hoffnung von Ödon von Horváth und daran, dass es in diesem Meisterwerk am Ende um Glaubensverlust, Unfrieden und Hoffnungslosigkeit geht. Wie kann das sein, dass bei dieser Kirche niemand von v. Horváths dunklem Sinn etwas wusste? Oder war genau der dunkle Sinn hier Teil der Botschaft? Darüber fiel ich ins Nachdenken:


Glaube, Glaube, Glaube – aber im Eigentlichen ist am ansteckendsten wohl im Moment der Nichtglaube. Wie viele Leute hört man, denen es unbewusst gefällt, Glaubhaftes und Glaubwürdiges abzutun, kaum dass es sich zeigt. 'Nein' ist das erste Wort in den meisten Unterhaltungen. Allerdings kein kritisches 'Nein', das der Motor guter Diskussionen sein kann. Sondern ein unoffenes, stupides Nein. Die Leute sind ja fast beleidigt, wenn sich jemand nicht davon abbringen lässt, an etwas oder jemanden zu glauben. Sie fühlen sich von positiven Stimmungen provoziert, man müsse doch negativ sein. Die Zeit wäre es auch. Nun, wie sagte Augustinus: "Wir sind die Zeit. Sind wir gut, ist auch die Zeit gut." Ja. Und würden mehr Leute bewusst glauben, unabhängig von Religion und Konfession, sich also in einer positiven Grundhaltung einrichten, träte das Gute leis' von der Seite dazu.


Und dann die Liebe. Alle Menschen können lieben. Die meisten erleben sich auch als Liebende in den Beziehungen, die lebensbestimmend für sie sind. Doch sobald wir uns sicher sind und das Gefühl der Liebe erwidert wird, münzen viele Menschen, erst still, später immer lauter, die Erfahrung des Entgegenkommens um und beginnen ihr geliebtes Gegenüber zu verändern. Man will über die Bedingungen des Geliebtwerdens verfügen, um das eigene Wohlbefinden zu steigern. Das aber, sorry guys, ist Nichtliebe. Nicht nur, weil der Streit programmiert ist. Sondern weil nagender Unfrieden das Beziehungsgefüge zerstört. 'So und so solltest Du das sagen und nicht anders.' Aha.


Und was die Hoffnung anlangt – Hoffnung ist gefühlte Zukunft. Aber wie soll Zukunft gebaut werden ohne Glauben? Negative Zukunft, klar, dieses Szenario kennen wir. Es knüpft an die Mentalität der Neinsager an, für die es immer nur schlechte Unendlichkeit gibt. Und wie kann Gefühl stark werden, wenn es nicht in bedingungsloser Liebe sozialisiert wird? Gar nicht. Gebrochene Gefühle, Urvertrauen als Verlusterfahrung – das ist die Geburt von Hoffnungslosigkeit.


Könnten wir nicht mal Urlaub vom guten alten Ich machen? Das will mein philosophischer Schutzgeist heute sagen. Wenn wir richtig gut sind, sogar Dauerurlaub von Verhaltensmustern, die uns – frisch aus dem realen Feriennest zurück – sonst schnell wieder jene Hölle heiß machen, die viele als Teil ihres Ich erfahren! Das Unbekannte ist glückvoller besetzt als wir denken.

 

Mit vielen guten Wünschen für den Re-Start,


Ihre Violeta Mikic.