Violeta Mikić

Pausenbrief 05 | 2024

Krachmacher

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

mein letzter Pausenbrief (Home Sweet Home) hat uns Reaktionen eingebracht, die so freundlich-gegensätzlich waren, dass ich mich heute mutig genug fühle, ein weiteres Kontrastthema zu bringen.


Die Gretchenfrage aus Faust I, die in "Marthens Garten" spielt, lautet: "Wie hast du’s mit der Religion?" Die Szene, die ich meine, spielt im Zugabteil, und sie betrifft selbst eine Glaubenssache: "Wie hast du's mit dem Handy?" Wenn Sie jetzt aufseufzen, habe ich schon mal Recht gehabt, und wir sind mitten im Thema:


Ja, wer hat denn Recht? Die, die sich selbst auf laut schalten, sobald es um Tante Lottas Rückenmarkspunktion und das Betriebsklima in der Kantine gestern Mittag vor dem Käserisotto geht? Oder die, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, dass trotz der Vorteile des mobilen Telefonierens der öffentliche Raum allen gehört, auch mir und dir, die wir die Stille schätzen, zuzüglich jenen, die resilient sind, aber im Zug wirklich, wirklich arbeiten müssen? Das Schlimmste ist, dass ich nur Leute kenne, die sich über den Verlust der Ruhe beklagen. Und diese kennen auch nur wieder solche und so weiter. Ergo:


Wir haben Recht. Denn die andern gibt es offenbar nicht. Außer im Zug selbst, klar. Da sind sie wieder. Und wenn ich endlich aufstehe und sage, dass ich mich, entschuldigen Sie bitte, gestört fühle von Tante Lottas Rückenmark, kriege ich zur Antwort: "Wir sind doch in einer Demokratie!"


Aber genau das sind wir in diesem Zugabteil eben nicht. Demokratisch wäre, dass sämtliche Formen der Kommunikation, zu denen das Schweigen gehört, nebeneinander Bestand haben. Ebenso, als Kollektiv darüber zu verfügen, dass es ungleich wiegt, wenn sich ein lauter und ein leiser Mensch das Abteil teilen. Den Lauten stört das Leisesein des Leisen weniger als den Leisen das Lautsein des Lauten, nicht wahr. Am Ende werde ich selbst laut über der Einsicht, dass Rechthaben hier keine Antwort einbringt. Wie gehe ich damit um, dass ich das Problem eines anderen lösen muss, der es ungefragt zu meinem macht? –


Ich versuche, meinen Ärger auf leise Art zu artikulieren. Der Krachmacher im Zug verschafft mir im Grunde die Gelegenheit, mein Friedlichsein zu üben. Zweimal hat es schon geklappt. Das war entwaffnend! Wenn man das plötzlich schafft, sind die Krachmacher in einem selbst still. Den Typen mit Tante Lotta, den hör'ste denn jar nich' mehr ---


Ist wirklich so.

 

Krachmacher sei um mich!


Ihre Violeta Mikic