Violeta Mikić

Pausenbrief 05 | 2023

Halt!

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

mit der Haltung ist es so eine Sache. Das Wort 'Halt' steckt darin. Bloß wenn man auf das ganze Wortfeld schaut, ist gerade der erstmal nirgends zu finden:


Es gibt die 'klare', die 'abwartende' wie die 'kritische Haltung', selbstverständlich eine 'aufrechte Haltung', die aber nicht notwendig die 'korrekte Haltung' ist, tja, die 'verbreitete Haltung' ist bei uns leider eher die 'schlechte', Körperhaltung nämlich, und zwischen 'innerer' und 'äußerer Haltung' liegt, was wir oft 'ideale Haltung' nennen. Daneben sind wir imstande, 'etwas mit Haltung hinzunehmen' und 'zu ertragen'; wir 'bewahren', 'zeigen', 'gewinnen' oder 'verlieren Haltung', sehr oft 'ringen' wir auch um sie, unsere Haltung. Das nennt man dann 'Geisteshaltung', 'Grundhaltung' oder 'Denkhaltung', mitunter ist dafür eine 'Abwehrhaltung' nötig, immer aber 'Lebenshaltung'. Du liebe Zeit, und die 'Freilandhaltung' und die 'Geheimhaltung' und 'Buchhaltung' – die gehören dann doch in eine andere Rubrik. Wirklich?


Wirklich. Denn der Casus knacksus liegt darin, dass das, was wir primär unter 'Haltung' verstehen, sowohl körperliche als auch psychisch-kognitive Bedeutungsschichten trägt. Dass das eine sich mit dem anderen vermischt, macht den kommunikativen Reiz einer menschlichen Haltung aus. Bedeutet aber auch, dass sich nichts schnell und eindeutig lesen lässt. Man muss viel über die eigene Haltung wissen, bevor man die Haltungen anderer interpretiert.


Zunächst scheint alles einfach. Wir kommen auf die Welt, sind elastisch. Wir könnten theoretisch jede Haltung einnehmen so wie uns noch jede Muttersprache zu Verfügung stünde. Dann recken wir unsere Nasen in den Himmel, wir wollen hoch, hinaus, wir richten uns auf. Das geht zu Ungunsten unserer Elastizität, doch gewinnen wir dadurch Welt. Bald können wir so Erfahrungen machen, einordnen, unterscheiden, wiederholen, und wir beginnen, einzelne körperliche 'Einstellungen' mit Gefühlen zu bespicken. Das ist die Lebensminute, in der wir Charakter werden. Das einst elastische Bündel ist steifer geworden. In den Limitierungen aber steckt gerade die persönliche Eigenart, die sich schließlich in einer individuellen Körperhaltung manifestiert. Und diese ist unser Tool Kit bis zum Schluss: Mit unserer Haltung – im umfassenden Sinn – machen wir den anderen von Stund an non-verbale Angebote. In anderen Worten: wir kontakten!


Jetzt geht es nur noch darum, eine 'neutrale Haltung' zu gewinnen. Drei 'Haltungsformen' gibt es aus wissenschaftlicher Sicht: 1. Die Haltung zur Welt, 2. Die Haltung zum Gegenüber, 3. Die Haltung zu sich selbst. Die Kunst, ohne Haltungsschaden durchs Leben zu kommen, liegt augenscheinlich darin, diese drei Formen praktisch gegeneinander abzuwägen. Jeden Tag wieder.


Apropos, ich beantrage ein neues Wort: die 'Bushaltung'! Das ist die Haltung, liebe Leute, mit der man es jeden Tag wieder durchsteht, an der Bushaltestelle auf den verspäteten 104er zu warten. Allen Ernstes, sämtliche heute beschriebenen Haltungsformen kommen dabei zum Vorschein. Vielleicht bin ich der BVG bald dankbar, weil sie es mir ermöglicht, meine Haltung, ihrem Kundenservice gegenüber, reiflich zu überdenken.


Einen schönen Mai wünscht


Ihre Violeta Mikic.