Violeta Mikić

Pausenbrief 07 | 2023

»Grundformen non-verbaler Kommunikation« VI : Rhythmus

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

komme ich in meinen Seminaren auf das Thema Rhythmus zu sprechen, erfahre ich fast ohne Ausnahme dieselbe Reaktion: "Rhythmus? – Aber ich hab' noch nie getanzt!" Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Missverständnis, und die meisten sind sehr überrascht, sobald sie erfahren, dass wir alle zahllosen Rhythmen unterliegen, die entweder unsere Körperlichkeit mitprägen oder selbst körperlich sind: 

Monats- und Tagesrhythmen, Hell-/Dunkelrhythmen, Jahresrhythmen – die berühmten 7 Jahre, seien sie fett, seien sie mager, in denen sich unsere Zellstruktur erneuert, Schlaf-, Ess- und Verdauungsrhythmen, erotische Rhythmen, der Lidschlag, der Herzschlag, daneben Ticks, die sich rhythmisch artikulieren, Fingertrommeln, Fußwippen und natürlich die Marotte, auf der Autobahn die Taktung der Leitplankenanlage mitschlagen zu müssen...

Rhythmus ist Bewegung. Selbst wenn wir schlafen. Rhythmus wohnt uns inne. Er ist primärer Bestandteil unseres Lebens, in dem es nicht bloß organisatorisch ums richtige Timing geht. Das Wort Rhythmus stammt ab vom Altgriechischen rythmós. Ursprünglich bezeichnet es "das Fließen", also etwas Gleichmäßiges, Strömendes. Im Rhythmus liegt somit etwas begründet, das sich wiederholt, und irgendwo zwischen Tretmühle und Harmonie liegt wohl auch unser unbewusstes Empfinden dafür.

In anderen Worten: Vom Rhythmus kann man gar nicht absehen. Noch der unmusikalischste Mensch ist ein rhythmischer Mensch. Denn unser Körper ist selbst Instrument. Damit dürfte auch klar sein, wie stark Rhythmus als Parameter unsere non-verbalen Kommunikationsmuster mitbestimmt. Bin ich selbst zu schnell, mein Gegenüber zu langsam, wird dauerhaft keine harmonische Beziehung entstehen. Die Schnellen sind oft genervt, die Langsamen oft überfordert. Und beide Gruppen werden der Regel nach, sind sie Rhythmen ausgesetzt, die dem eigenen Gefühl zuwiderlaufen, aggressiv. Der Wohlfühlrhythmus des einen ist für den anderen buchstäblich taktlos.

Eine der klügsten Anekdoten zum Thema fällt mir dazu aus der Welt des Theaters ein: Im Opernhaus X. gab es neben dem Generalmusikdirektor einen Co-Dirigenten. Der Mann hieß Herr Stengel. Zu seinen Aufgaben gehörte die Abhaltung der Orchesterproben. Herr Stengel war allen Musiker*innen schon vor seiner ersten Amtshandlung durch überzogene Eitelkeit aufgefallen. Ein pausbäckiger Mitdreißiger, der den weißen Schal wie Karajan und dazu täglich neu geblümte Weste trug. Auf der ersten Probe konnte er nicht von einer jungen Geigerin lassen. Er fixierte sie, hob ihr hinreißendes Spiel heraus. Und plötzlich rief er vom Dirigentenpult aus in ihre Richtung: "Ach, bei Netzstrümpfen komme ich immer ganz aus dem Takt!" Die Antwort der jungen Musikerin ist classy. Sie stand auf und rief zurück: "Herr Stengel, dann sagen sie uns doch bitte nur noch: Werden Sie bei Netzstrümpfen schneller oder langsamer?"

 

Einen klassischen Sommer wünscht Ihnen,

Ihre Violeta Mikić


Bildquelle: https://pixabay.com/de/illustrations/ekg-echokardiogram-rhytmus-frequenz-3345115/