Violeta Mikić

Pausenbrief 05 | 2022

Immer schön auf dem Boden bleiben

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wann haben wir eigentlich aufgehört zu hüpfen und zu springen? – Wie bitte? – Ja, wann haben wir alle aufgehört, in die Luft zu springen, Freudensprünge zu machen, sich hüpfend, hopsend, bocksfüßig fortzubewegen?! Spielt noch jemand Himmel und Hölle, Hüppekästchen? Wann sind wir das letzte Mal über die großen Pfützen gesprungen anstatt diese nur brav zu umlaufen, damit unser Schuhleder nicht nass wird oder das Handy nicht runterfällt? Ich weiß es nicht.


Schon vor längerem sah ich vom Fenster aus zwei junge Frauen, die sich an der Hand hielten und so in leichtem Trab, allzumal hüpfend über den Platz flogen. Ich rufe das Bild immer wieder auf. Es war wundervoll, aber auch irritierend. Die Szene zog mich an. Im selben Moment zensierte ich etwas an ihr. Eine gewisse Fassungslosigkeit stieg auf à la: "Wahnsinn, die machen das wirklich!" Offenbar macht man das also nicht. Was machten sie wirklich?


Diese beiden erwachsenen Mädchen taten, was wir sonst nur Kindern zugestehen. Sie waren hemmungslos auf denkbar liebenswürdige Weise, und sie hatten keine Scham, sich damit zu zeigen. Was sollte am Hüpfen auch unerlaubt sein? Oder ist man als "Große*r" schon draußen, weil man eine vermeintlich naive Verhaltensweise probiert? Das hat mich spontan beeindruckt, und es beeindruckt mich immer noch. Die beiden trugen Zöpfe. Die eine Ponyschwanz, die andere zwei lange, geflochtene Zöpfchen, die sich in der Luft kringelten wie die Natternhaare einer lustigen Medea. Für Sekunden schien die Szene unwirklich, weil sie etwas zusammenbrachte, das wir kaum als zusammengehörig integrieren können. Wer erwachsen sein will, muss dem Boden verhaftet bleiben. So ließe sich die soziale Regel hinter dem unausgesprochenen Gebot formulieren.


Dabei ist es kein Geheimnis, dass zu hüpfen und zu springen therapeutischen Effekt hat. Das Trampolin feiert sein Comeback, Seilspringen ist in vielen Atem-, Sing-, Body-Focusing-Gruppen eine ernstzunehmende Praxis, um Blockaden abzubauen. In diesem Zusammenhang erzählte mir jemand von einem chinesischen Mönch, der auf YouTube Qi Gong ausbilde. Eine seiner Übungen bestünde im Hüpfen, Springen und Schütteln des gesamten Körpers. Der junge Mann führe es selbst vor der Kamera aus, es ginge eine solch kraftvolle Leichtigkeit von ihm aus, das mache einen ganz neidisch. "Jump, jump on mother earth", sage er dabei fortwährend, selbst immer schon ein bisschen atemlos. Dieser Satz ist jetzt auch atemlos in mir. Ein Mönch, der von der Erde redet, derweil er ihre Festigkeit und sein Fedrigsein erprobt, ist mehr als ein Kind. Er ist bewusst und auf weise Art fröhlich. Ich will, dass wir die Latten zum Hüpfen hochhängen! Vielleicht kommen wir so schon mal über die Perspektive unseres Tellerrands hinaus! 


Her-,


herz-,


herzlich!


Ihre Violeta Mikic.