Violeta Mikić

Pausenbrief 10 | 2018

Nur Mut!
Von der Courage, zu sich selbst zu stehen

Liebe Leser,

kürzlich hatte ich die Ehre, auf dem Kommunikationskongress 2018 meinen Vortrag »Mut zur Authentizität« zu halten. Dabei habe ich fünf Fallbeispiele – wahre Geschichten – erzählt, um die Vielfalt dieser hochkomplexen Materie näher zu beleuchten. Seither hat mich das Thema Mut nicht losgelassen; ganze Vortragsreihen könnte man darüber abhalten. Meine weiteren Gedanken hierzu möchte ich auch Ihnen, liebe geschätzte Leser meines Pausenbriefs, nicht vorenthalten. Lesen Sie selbst. Und wie immer heißt es dabei: Genießen Sie Ihre Pause!


Meine liebste Geschichte ist die des Schriftstellers Robert Walser, der in seinen späten Jahren im Freibad auf den Sprungturm hinaufstieg, sich bis zum Rand des Sprungbretts vortastete, um nach kritischer Prüfung der Lage beherzt den Rückzug anzutreten – über die Leitern ging es hinab, wie er heraufgekommen war. Nicht überliefert ist in diesem Bericht aus der Feder von Walsers Freund und Vormund Carl Seelig, ob die anwesenden Badegäste applaudiert haben. Aber fest steht: Der Dichterfürst verdient für diesen Auftritt Respekt. Denn anders als jeder noch so eindrucksvolle Muskelprotz hatte er den Mut, seine Angst offen zuzugeben.


Damit wären wir bei jener Spielart, die im Gegensatz zur Courage auf den ersten Blick recht unpopulär erscheint: die Angst. Und doch stellt sie einen Aspekt des Menschseins dar, ohne den wir nicht überlebensfähig wären. Denn Furcht und der darauffolgende Fluchtimpuls, wie ihn Robert Walser an den Tag legte, schützten schon unsere Vorfahren vor allzu tollkühnen Aktionen, etwa bei der Jagd auf wilde Tiere, bei der man buchstäblich den Hals riskierte. Sich (vermeintliche) Schwächen wie Angst einzugestehen, kann also Leben retten. Merke: Nur wer wahrnimmt und zugibt, dass er sich nicht wohlfühlt, kann an diesem Zustand etwas ändern. Wer sich hingegen verstellt oder sich ein Verhalten aufzwingt, das nicht zu seiner Persönlichkeit passt, verliert leicht an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft – die Körpersprache hat schon so manchen hochmütigen Löwen als Hasenfuß enttarnt. Freilich kann der Redner einer Veranstaltung nicht Walser-mäßig einfach kehrtwenden und wieder vom Podium klettern. Aber er kann und darf seine Nervosität schlichterdings zugeben – niemand wird es ihm verübeln, und allein diese Erkenntnis wird seiner Selbstsicherheit Auftrieb geben und ihm das Lampenfieber lindern.


Ähnlich negativ besetzt wie die Angst ist übrigens der Übermut (»tut selten gut!«). Klar ist von S-Bahn-Surfen, illegalen Autorennen und dergleichen mehr dringend abzuraten. Aber schon die Jüngsten unter uns machen es uns vor: Kindlicher Übermut steht für ausgelassene Freude und zwar nicht sehr zielgerichtete, aber lebensfrohe Aktionen. Etwa wie das frischverliebte Teenager-Pärchen, das sich heute früh juchzend in den aufgeschichteten Laubhaufen hineinwarf und darin herumstob. Ein paar blaue Flecken mögen die beiden riskiert, aber sicherlich einen unvergleichlichen Glücksmoment davongetragen haben. Insofern feiert, so meine ich, neben dem Mut und der Angst eben auch der Übermut – im gesunden Maße gepflegt – seine Daseinsberechtigung.


Den eingangs genannten Vortrag »Mut zur Authentizität« gibt es übrigens auch als Nachlese. Auf Anfrage schicke ich Ihnen das Manuskript gerne zu. Eine vergnügliche Lektüre und viel Courage wünscht Ihnen herzlich:


Ihre Violeta Mikić.






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