Violeta Mikić

Pausenbrief 06 | 2019

Schwierige Zeitgenossen, Teil 2: Der Zyniker
Grobian mit Unterhaltungsfaktor

Liebe Leser,

nachdem sich mein letzter Pausenbrief der Konfrontation mit unangenehmen Zeitgenossen widmete, geht es diesmal um die wohl kritischsten Fälle dieser Spezies: die Zyniker. Gegen Zynismus, so heißt es, sei kaum ein Kraut gewachsen. Warum unsere Gesellschaft dennoch eine gesunde Portion davon vertragen kann, lesen Sie in den folgenden Zeilen. Und wie immer heißt es dabei: Genießen Sie Ihre Pause! 

 

Vor gut 2500 Jahren entsagte der Philosoph Diogenes von Sinope allem weltlichen Komfort und zog es vor, in einer Tonne zu leben. Angesprochen vom seinerzeit mächtigsten Herrscher der Welt, Alexander dem Großen, konterte Diogenes forsch: »Geh mir aus der Sonne!« Die demonstrativ zur Schau gestellte Verachtung ist ein typisches Merkmal des Zynikers, zu deren wohl berühmtesten Vertretern Diogenes zählt. Er entstammte der Philosophenschule der Kyniker (woraus sich die heutige Bezeichnung des Zynikers ableitet). Sie verachteten das Streben nach Macht und Reichtum und fielen mit beißendem Spott über alle her, die ihre Lebenseinstellung nicht teilten. Der Name dieser Denkrichtung, die sich am äußersten Rande der Gesellschaft ansiedelt, basiert auf dem Begriff »kyon« – Hund. Gemeint ist wohl kein kuscheliges Haustier, sondern eher ein räudiger Streuner.

 

Bei aller Sympathie für den antiken Philosophen gebe ich zu, ihn nicht zum Nachbarn haben zu wollen. Auch wenn Zyniker heutzutage nicht unbedingt so exzentrisch sind wie Diogenes, teilen sie doch dessen negative Grundhaltung. Keine Frage, dass man sich damit unbeliebt macht. Die Sozialforscherin Dr. Olga Stavrova meint dazu: »Zyniker werden nicht als angenehm wahrgenommen, ihre Haltung ist Anlass für Diskriminierung.« Und da diese Menschen tatsächlich weniger respektvoll behandelt werden, sehen sie sich in ihrer finsteren Sicht bestätigt – so generiert der Zynismus weiteren Zynismus. Gesund ist das freilich nicht. Bis hin zur Feindseligkeit gesteigertes Misstrauen fördert erwiesenermaßen Herzkrankheiten und senkt generell die Lebenserwartung.

 

Wie es scheint, lässt sich also für den Zyniker keine allzu große Lanze brechen. Und doch kann er laut dem Berliner Verhaltenstherapeut Michael Linden »gerade in Zeiten der Political Correctness, wo wir von Verhaltensregeln geradezu umstellt sind, eine beinahe sozialverträgliche Rolle einnehmen. Wenn alle mit der Schere im Kopf rumlaufen, kann der scharfe Witz, die bissige Bemerkung entlasten«. Aus diesem Grund kann die negative Grundhaltung im Entertainment-Bereich durchaus ein Erfolgstreiber sein. Bestes Beispiel dafür ist der bekennende Berufszyniker a. D. Harald Schmidt, dessen medialer Balanceakt zwischen groben Scherzen und ernsthaften Beleidigungen nur schwer einzuordnen, aber grundsätzlich stets höchst unterhaltsam gewesen ist. Auch der Kabarettist Jan Böhmermann versucht sich in dieser Disziplin, allerdings weniger trittsicher, wie es etwa der Skandal um sein Gedicht über den türkischen Präsidenten Erdogan an den Tag brachte.  

 

Generell können Zyniker also nicht nur stänkernde Grobiane, sondern zuweilen auch kluge Warner und Mahner sein, die gesellschaftlichen Missständen intelligent auf den Zahn fühlen. Deshalb kann und darf eine gesunde Portion derben Spotts gerade bei öffentlichen Auftritten gern mal mit von der Partie sein. Oder wie es der französische Philosoph Diderot auf den Punkt brachte: »Der Zynismus, so verabscheuungswürdig, so unangebracht er auch in der Gesellschaft sein mag, ist für die Bühne hervorragend geeignet.« 

 

Es grüßt in diesem Sinne herzlich

 


Ihre Violeta Mikić.






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