Violeta Mikić

Pausenbrief 06 | 2022

Kommunikation ist Bewegung

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

es gibt einen Gedanken von Galilei, der ungefähr so geht:


Liegt eine Schreibfeder auf einem Tisch, der auf einem Schiff steht, so 'schreibt' diese Feder, ohne dass sie konkret auch nur einen Millimeter von irgendjemandem bewegt würde. Man muss sich nur die Bewegung des Schiffes auf den Wellen im Raum dazu denken, dann entsteht dennoch eine 'Schriftlinie', die über die Kielspitze weiter- und weiterläuft bis eben die Hand des großen Bewegers, hier des Windes, selbst ruht. Ich finde das faszinierend! Schon wenn man diesen Gedanken grafisch umsetzt, ganz simpel, zum Beispiel so:

 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts
 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts
 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts
 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts
 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts
 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts
 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts
 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts
 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts
 

Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts Es bewegt sich nichts

 

...teilt sich sofort mit, dass sich etwas bewegt, auch wenn der Satz vom Nichtbewegten semantisch zum Stillstand kommt. Wer von uns liest schon die dreißigste Wiederholung unten rechts? Zwischen den Zeilen des Nichtbewegten aber sind Muster, Rhythmen, vertikale Kolumnen und fließende Querbezüge entstanden, die unsere Aufmerksamkeit auf eine andere Ebene lenken. Ich sehe die Neigung der Buchstaben anders, empfinde deren Über- und Unterlängen auf einmal als richtig hübsch, interpretiere den ganzen Satz weniger seiner Wortbedeutung nach als durch seinen Verlauf. Und dass sich etwas nicht bewegt, das lese ich, aber glauben tue ich es nicht.


Was als Teil des galileischen Relativitätsprinzips in die Geschichte eingegangen ist, lässt sich in unseren Alltag übersetzen: Alles ist auch hier pausenlos in Bewegung, selbst wenn wir dies nicht auf den ersten Blick wahrnehmen. Unablässig läuft Bewegung durch unsere Körper. Körper sind Bewegung. Visualisierungen unserer REM-Schlafphase, also des Rapid Eye Movement, wirken fast unheilvoll, weil unsere Augen bei geschlossenen Lidern so furchtbar aktiv sind, dass man es gar nicht mitansehen möchte. Ja, das beste Pokerface der Welt kann nicht verhindern, dass Blut durch seine Schläfen rast.


Als Coach, die ich mich mit Körpersignalen beschäftige, ist dieser Kerngedanke für mich zentral geworden. Alles spricht, alles teilt sich zeichenhaft mit! Das heißt nun nicht, dass sich die Couchkartoffeln unter uns motiviert fühlen dürfen, noch seltener hinter dem Ofen vorzukommen, weil sowieso eine große Hand für Generalbewegung sorgt. Ich glaube aber eben doch, dass – wenn wir nur unseren Fokus etwas feiner stellen – unfassbar viel 'los' ist nicht bloß um uns herum, sondern in uns und durch uns hindurch. Wir Menschen sind motorische Quasselstrippen. Gerade auch in nicht-privaten Kontexten, in denen man gern mal was verborgen wüsste. Ich kann nur sagen: Es klappt nicht! Oder zumindest nicht so, wie man sich das wünschte, denn es ist immer ein Finger da, der am Ohr nestelt oder ein Oberlippenhaar, das gegen das Licht wächst oder Zehen, die sogar in Pumps noch wippen müssen, weil das Meeting anders läuft als geplant.


Also denken Sie dran: "Sie bewegt sich doch!" Und mit unserer Erde bewegt sich unser physischer, kognitiver Mikrokosmos. Zwar gilt inzwischen als nachgewiesen, dass Galilei diesen Satz gar nicht gesagt hat. Aber wahr ist er trotzdem.

 

Mit einem meiner rund 14400 täglichen Lidschläge herzlichen Gruß!


Ihre Violeta Mikic.