Violeta Mikić

Pausenbrief 05 | 2025

Ein ganz gewöhnliches Wunder

Liebe Leserinnen. liebe Leser,

hier kommt eine einfache Geschichte, sie enthält nichts Besonderes, nur Normales, und doch würde ich mich freuen, wenn Sie sie lesen.


Ich komme abends aus der U-Bahn. Ich habe mein Fahrrad dabei, hinten im Korb liegt mein Rucksack. Als ich zu Hause eintreffe, ist der Rucksack nicht mehr da. Brille, Portemonnaie, Papiere, Dokumente, mein Hausschlüssel – alles außer dem Handy ist weg. Ich rase zurück zur U-Bahn-Station, vielleicht weiß ein Schaffner zu sagen, was ich tun könne. Die nächste Bahn kommt schnell, der Schaffner ist sehr nett. Am besten führe ich zum Betriebshof, sofern ich davon ausginge, dass mir der Rucksack noch im Abteil verloren gegangen sei. Schade, das entfällt also. Erschöpft schlage ich wieder den Nachhauseweg ein. Diesmal schiebe ich mein Rad. Ich suche die Straßenzüge meterweise ab, auch zwischen den parkenden Autos. Nichts. Als ich auf Höhe meiner Wohnung bin, sehe ich einen jungen Mann vor meiner Tür. Er sucht meinen Blick: "Sie sehen aus, als ob Sie etwas verloren haben, oder?" – "Ja!?!" – Dann lächelt er, ob ich eine grüne Börse hätte und "Frau Violeta Mikić" sei. Er habe bereits geklingelt, es sei wohl mein Rucksack, den er vorhin auf der Straße gefunden habe. Meine Adresse habe er ebenfalls dem Ausweis entnommen. Er legt mir meinen Rucksack in den Arm. Er sei so froh, dass alles nun ein gutes Ende habe.


Das war sie schon, die normale Geschichte. Warum ich sie hier erzähle, liegt natürlich daran, dass eines nicht stimmt: nämlich, dass es eine normale Geschichte ist. Richtiger wäre gewesen zu sagen, dies sollte eine normale Geschichte sein. In Wahrheit ist sie total unnormal. Unnormal geworden in einer Zeit, in der Raubbau, Argwohn und Verhetzungen an der Tagesordnung sind. Ob der junge Mann ein deutscher oder ein zugereister Mensch war, möchte ich übrigens nicht diskutieren. Nur sagen, dass mich seine schlichte, geradlinige Aufrichtigkeit zutiefst berührt. All die Tage geht mir das nach. Ich merke daran, wie weit auch ich mitunter davon entfernt bin zu glauben, dass grundsätzlich etwas gut ausgeht auf dieser Welt. Und doch, es ging


Und es wird wieder so gehen. Wenn ich nur meiner Hoffnung eine Chance lasse. Wenn wir nur alle der Hoffnung Chancen lassen.


Seither stelle ich mir Rucksäcke voller Hoffnung vor. 


Leicht bepackt,


Ihre Violeta Mikic.