Violeta Mikić

Pausenbrief 12 | 2016

Carpe diem – Nutze den Tag, oder doch lieber YOLO?
Über alte und neue Erkenntnisse zum Umgang mit der
Vergänglichkeit

Liebe Leser,

nie sind die Tage kürzer als im Dezember. Besinnlicher Advent? Schön wär’s! Die dunkle Vorweihnachtszeit beschert den meisten Menschen heutzutage vor allem eines: Stress. Man könnte meinen, dass es im Zuge unserer Konsumgesellschaft und dem unvermeidlichen Endspurt bei der Jagd auf Geschenke von Jahr zu Jahr hektischer zugeht. Warum ich Ihnen ausgerechnet jetzt das gute alte lateinische Bonmot »Carpe diem« ans Herz lege? Das erfahren Sie hier. Und wie immer heißt es dabei: Genießen Sie Ihre Pause!  

 

»Carpe diem – Nutze den Tag« lautet der oft zitierte Ausspruch, der Langschläfer aus den Federn treiben und Müßiggänger zum Arbeiten bewegen soll. Wer sich aber auskennt, kann mit der präziseren Übersetzung „Genieße den Tag“ punkten. In die Welt gesetzt hat diesen berühmten Spruch der römische Dichter Horaz anno 23 vor Christus in seiner Ode »An Leukonoë«. Viele große Dichter wie etwa William Shakespeare haben seither in ihren Werken Horaz’ guten Rat zitiert und auf vielfältige Weise interpretiert. Sein Landsmann und Kollege Andrew Marvell schuf im Barockzeitalter ein Gedicht, in dem ein Verehrer seine Angebetete in Versform drängt, sich ihm endlich hinzugeben. Gegen dessen Argument, wie schnell vergänglich doch die Jugend ist, lässt sich in der Tat wenig einwenden. »Carpe diem« – das gilt also sogar für Liebe und Romantik. 

 

Der Spruch findet sich nicht nur auffallend oft als Inschrift auf Sonnenuhren, sondern lebt bis heute in vielen Varianten fort. Ein Beispiel für seine Weiterentwicklung ist YOLO (»You Only Live Once« – »Du lebst nur einmal«), das 2012 in Deutschland zum Jugendwort des Jahres gekürt wurde. Das Spaßmotto der Teenager rief freilich manche Kritiker auf den Plan, die das Ganze als vermeintlichen Freischein für Unvernunft und Übermut missverstanden sehen. Aber in philosophischer Hinsicht treffen die Youngsters mit ihrer kessen Formulierung doch den Nagel auf den Kopf, wie ich meine. Das Leben ist kurz – machen wir das Beste draus. Ein bisschen Übermut kann nicht schaden, oder wie es der russische Dichter Wladimir Majakowsi im Titel seiner Aphorismen forderte: »Her mit dem schönen Leben«. Ich gehe davon aus, dass Horaz all diese charmanten und plausiblen Interpretationen seines Bonmots »Carpe diem« willkommen geheißen hätte – im Gegensatz zu übertriebenem Aktionismus und negativen Stressfaktoren. 

 

So manche Weisheiten sowohl der klassischen Philosophie als auch des progressiven Jugendjargons können wir uns zunutze machen, um den Alltag – respektive unser Leben – optimal zu erfüllen. In diesem Sinne darf ich Sie zum Jahresende dazu ermuntern, nicht nur die kommenden Feiertage nach Lust und Laune zu genießen. Das Motto »Carpe diem« sollte uns allen auch 2017 ein guter Begleiter sein, um eine gesunde Balance zwischen Lebensfreude und beruflichem Erfolg zu generieren. Bekanntlich bedingen beide Faktoren einander – wie gut die Symbiose gelingt, hängt allein von uns selbst ab. Passen Sie gut auf sich auf! 

 

Fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch wünscht:  

 

Ihre Violeta Mikić.